Schlagwort: Familie

Gisela Stelly Augstein: Der Fang des Tages

Nach der Lektüre von Gisela Stelly Augsteins „Der Fang des Tages“ weiß ich: Richtig Erben ist nichts für Anfänger. Und die Mitglieder der Familien Escher und K. wissen: wer zu diesen Familien gehört, braucht keine Feinde mehr. Denn statt sich an dem zugedachten Erbe und den damit verbundenen Möglichkeiten zu erfreuen, brechen moralische Dämme, machen Bahn für die niedrigsten Instinkte, werden die inneren Raubtiere von der Leine gelassen und Jagd auf das Erbe des anderen gemacht. Es wird gelogen und betrogen (auch um Lug und Betrug aus der Vergangenheit unter dem Teppich zu halten), intrigiert und manipuliert, ge- und bedroht, Allianzen geschmiedet – nicht immer die glücklichsten – und nur wenige bekommen, was ihnen zusteht. Und vielleicht gibt es ja einen gerechten Gott, der in letzter Minute verhindert, dass Gelder ungewisser Herkunft, von einem Weiterlesen

Ute Mank: Elternhaus

Es geht in Ute Manks Roman um Beziehungen: Eltern-Kinder-Beziehungen, Geschwisterbeziehungen, Partnerbeziehungen und darum, welche Auswirkung eine Entscheidung innerhalb eines Familiengeflechts auf jedes einzelne Familienmitglied hat und welche Veränderungen damit einhergehen.  Mank behandelt diese Themen mit viel Umsicht und einem hohen Maß an Sensibilität. Sie urteilt nicht und hat für jeden Charakter Sympathie und für sein Handeln Verständnis. Ich habe das Gefühl, die Protagonisten zu kennen, sehe sie direkt vor mir und bin von ihnen berührt. Die Autorin erzählt zwar gerade und schnörkellos, aber mit dem Blick auf Details und Nuancen sehr bildhaft und transportiert viel Gefühl. Die einzelnen Themen sind fein herausgearbeitet und es ist beeindruckend, wie sie im Weiterlesen

Liebewesen, Caroline Schmitt, Eichborn

Habe ich jemals ein Buch mit so viel Schmiss über eine so unglaublich traurige und absurde Geschichte gelesen? Hab ich je so oft geschmunzelt über den Wortwitz eines abgrundtiefen Dramas? Wahrscheinlich nicht!

Caroline Schmitt schreibt mit einem Feuer, einer Verve über die Untiefen von Liebesbeziehungen und den schlimmsten Familienexzessen, dass man ihr entgegenrufen möchte: Schreiben Sie weiter, junge Frau. Ihr Stil ist unvergleichlich und Sie sind eine begabte Autorin. Gratuliere zu diesem Debüt!

Liebewesen, irgendwie ein Liebesroman, eine von Opferung geprägte Selbstfindung, die Beschreibung einer Kindheit mit sadistischer Mutter und am Ende eines Durchatmens und Verstehens. Das Ganze ist wie nebenbei erzählt, mit viel Humor und dennoch mit einer emotional fast unspektakulären Beteiligung der Hauptprotagonistin. Ein ziemlich irres, aber geniales Werk!  Weiterlesen

Lügen über meine Mutter, Daniela Dröscher

Es ist ein berührendes, tief bewegendes Buch, über das ich noch lange nachdenken musste, nachdem es gelesen war.

Daniela Dröscher führt uns durch vier Jahre ihrer Kindheit, durch vier Jahre Ehe ihrer Eltern, die man als subtile Ehehölle bezeichnen sollte. Durch vier Jahre eines kaum auszuhaltenden Hunsrücker Landleben und dennoch durch Jahre einer relativ normalen Familie dieser Zeit. So leidet ihre Mutter, die nie mit Vornamen genannt wird unter ihrer Herkunft als Kriegsflüchtling aus Schlesien, unter ihrer Schwiegermutter, die sich was Besseres für den Sohn gewünscht hätte und vor allem unter ihrem Mann, der das Glück und den Frieden der Familie an jedem Gramm Körpergewicht seiner Frau festmacht. Und dennoch behält sich diese Frau, gefangen in familiären Konventionen und den gehassten Kilos immer ihren Blick für das Wesentliche. Den Mut jeden Tag für die zu kämpfen, sie sonst untergehen würden und weiter zu existieren, obwohl der Mensch in ihr, unter all den Fettpolstern nie gesehen wird.

Als Frau fand ich manche Erzählungen unerträglich und mich hielten die erklärenden Retrospektiven der Autorin nach jedem Kapitel über Wasser. Manches Mal störten mich die Anmerkungen der Autorin und mittlerweile erwachsenden Tochter. Doch ich konnte mir meine Meinung bilden und empfinde Respekt für die Mutter, die es viele Jahre aushielt, bis das letzte Kind alt genug war, um ihre persönliches Lebensinferno hinter sich zu lassen.

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Karin Smirnoff: „ Mein Bruder“

Gastrezension: Rolf Meier-Lenz

Der Roman „Mein Bruder“ ist der Auftakt einer Trilogie um die Ich-Erzählerin Jana Kippo,die in Schweden – nach einer halben Million verkauften Büchern – bald zur TV-Serie werden soll.  Am Anfang vom ersten Band eins, der hier vorgestellt wird, stapft Jana Kippo durch tiefen Schnee. Sie ist auf dem Weg zu ihrem Zwillingsbruder, der auf dem Gehöft ihrer Eltern in der nördlichen Provinz Västerbotten lebt. Schon auf der ersten Seite von „Mein Bruder“ spürt man , dass diese Heimkehr für die Mittdreißigjährige alles andere als einfach wird. Doch wenn Jana ihren alkoholabhänigigen Zwillingsbruder davon retten will, sich zu Tode zu trinken, muss sie bei ihm bleiben – an diesem Ort, an dem beide als Kinder Schreckliches erlebt haben. Es sind kurze, knappe Sätze in denen die Autorin in Flashbacks von der Kindheit erzählt die die Kippo-Zwillinge durchgemacht hatten. Vom Vater, der die Tiere auf dem Hof quält, die Tochter missbraucht, den Sohn misshandelt. Und die Mutter sieht dem Treiben tatenlos zu. Selbst vom Ehemann misshandelt versucht sie Zuflucht in Bibelsprüchen die sie hundertfach in  Zierdeckchen stickt .Die erwachsene Jana Kippo erzählt davon mit abgründigen Humor – genauso wie von ihrer Gegenwart, in der sie einen Job als Altenpflegerin im Dorf annimmt und dabei auf Familiengeheimnisse stößt. Weiterlesen

Nichts weniger als ein Wunder, Markus Zusak

Nichts weniger als ein Wunder ist tief und berührend, wie es schon die Bücherdiebin war. Die Geschichte einer Familie, die durch Tod und Trauer zerbricht und von denen nur fünf Brüder übrig bleiben. Einer von ihnen ist Clay, der beschließ für sich, seinen Vater und seiner Brüder eine Brücke zu bauen. Eine Brücke, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft und die Trauer der Familie heilen soll. Auch wenn es ihm nur schwer gelingt, diese Brücke zu bauen, so wird allein der Vorsatz es zu tun, jeden seiner Brüder berühren und für immer verändern.

Sprachgewaltig, traurig, wunderschön und hoffnungsvoll, eben Zusak!

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Die Schatten von Race Point, Patry Francis

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Lassen Sie sich von dem Cover nicht fehlleiten. Die Schatten von Race Point ist keine nullachtfünfzehn Liebesschmonzette, die mal schnell für die kommende Urlaubszeit am Strand zusammengeschustert wurde. Es ist eine Familiengeschichte, mit viel Gefühl und einer spannenden Kriminalgeschichte im Hintergrund. Es erinnert an Daphne de Mauriers Rebecca oder auch an Werke von Brontë. Was mit einer Kinderfreundschaft zwischen Hallie und Gus im Jahre 1978 beginnt, führt den Leser durch eine leidenschaftliche Liebesbeziehung im Teenageralter, die so abrupt endet, wie sie begann. Doch damit ist die Verbindung dieser beiden charismatischen Menschen nicht beendet, denn plötzlich brauchen sie sich wieder, als ein furchtbarer Mord geschieht.

Francis_Autorenfoto_©Ted Lukac

Patry Francis, geboren 1950 in Brockton, Massachusetts, lebt mit ihrer Familie auf Cape Cod. Ihre Erzählungen und Gedichte sind in zahlreichen literarischen Zeitschriften erschienen, und sie wurde mehrfach für den renommierten Pushcart-Preis nominiert. Die Schatten von Race Point ist ihr erster Roman bei Blanvalet.

Foto: Copyright Ted Lukac

 

 

Gus ist erst neun Jahre alt, als sein gewalttätiger Vater seine Mutter erschlägt. Der kleine traumatisierte Junge findet nur wieder ins Leben zurück, weil die Tochter des ansässigen Landarztes, Hallie, ihn nicht aufgibt. Auch wenn sie Freunde werden und gemeinsam mit dem gleichaltrigen Neil eine wunderbare Kindheit auf Cape Cod erleben, bleibt die Vergangenheit immer ein dunkler Schatten für Gus. So richtig lebt er erst auf, als er und Hallie als Teenager ein Liebespaar werden. Ihre Gefühle füreinander sind etwas besonders, nicht nur eine Jugendschwärmerei und sie schmieden Zukunftspläne. Doch am Abend des Abschlussballs passiert etwas zwischen den drei jungen Menschen, dass sie nicht nur auseinandertreibt, es verändert ihr Leben, für immer. Viele Jahre vergehen und jeder von ihnen lebt ein komplett anders Leben. Doch die Weichen sind noch nicht endgültig gestellt, denn durch den gewaltsamen Mord an einer jungen Frau muss Hallie sich wieder entscheiden. Glaubt sie an Gus und wird sie ihm helfen, wie damals, als er sie als kleiner Junge so sehr brauchte?

Es ist eine schöne, manchmal traurige Geschichte einer Familie, einer Liebe und auch eines tiefverwurzelten Hasses. Patry Francis hält ihren Roman immer an der Grenze des seriösen Romans, verliert sich nie in leidenschaftlichem Geplänkel. Auch wenn ich an einer Stelle die Stirn runzelte und dachte, na, kommen jetzt die Dornenvögel, so belehrte mich die Autorin eines Besseren.

Die Schatten von Race Point, Patry Francis, Blanvalet, 590 Seiten, ISBN 978-3-7341-0337-7, Euro 9,99