Alle Artikel von Angela Perez

Antje Rávik Strubel: Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss

Die in den Jahren 2003 bis 2021 entstandenen Essays von Antje Rávik Strubel, die zum Teil an anderer Stelle publiziert wurden, sind ein Festmahl für alle Freunde der Sprache. Präzise, poetisch, aufklärerisch formuliert, persönlich, wenn nötig, den Finger in die Wunde legend, wie in »Scham« oder kämpferisch, wenn Strubel über Ungerechtigkeiten schreibt: „Von diesem Unterschied leitet sich nicht nur die Bewertung von Inhalt und Ästhetik ab, sondern auch die Entlohnung (laut einer Studie der Künstlersozialkasse von 2017 verdienen männliche Schriftsteller im Durchschnitt doppelt so viel wie ich – unabhängig davon, ob sie Schrott oder hot schreiben). Vom ‚Fräuleinwunder‘ werden Sie gehört haben; von einem ‚Buben- oder Knabenwunder‘ sicherlich nicht.“. Und obwohl es runtergeht wie Öl, ist die Kost nicht leicht verdaulich. Die Essays wie »Die große Weiterlesen

Sophie Hardach: Unser geteilter Sommer

2019, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls, erschien der Roman »Confession with Blue Horses« von Sophie Hardach in Großbritannien. Leider erst 3 Jahre später kam diese Ostdeutsche Familiengeschichte mit autobiografischen Zügen in deutscher Übersetzung auf den Markt. Und vielleicht ist diese gelungene Mischung aus Realität und Fiktion das, was diese Erzählung besonders macht: sie spricht intellektuell und emotional an, bleibt dabei glaubhaft und authentisch. Der Schuss Fiktion ist vielleicht ein bisschen Balsam für die Seele der Leser: innen, denn das Leid, der Schmerz und der Schaden, den totalitäre Staaten ihren Bürgern zufügen, ist für Menschen, die in Freiheit aufgewachsen sind, schwer nachvollziehbar und kaum verständlich. Weiterlesen

Maaza Mengiste: Der Schattenkönig

Die Autorin Maaza Mengiste ist eine mehrfach preisgekrönte Autorin und nach wenigen Seiten weiß man warum: sie überzeugt mit ihrer einfühlsamen, poetischen Sprache. Sie ist eine ausgezeichnete Romanautorin mit einem vielschichtigen Schreibstil epischen Ausmaßes. Wie ihr Erstlingsroman »Beneath the Lion’s Gaze« spielt auch der vorliegende Roman in Äthiopien, dem früheren Abessinien. Es gelingt ihr, die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Kriegstragödie, ihre Auswirkungen sowie ihre kritische Rolle bei den kriegsbedingten Veränderungen der Menschen, einzufangen und die Schicksale der Frauen zu beleuchten, alle wie sie da sind, zeigt auf, was sie erdulden: Missbrauch, Vergewaltigung, aber vor allem ihre Widerstandsfähigkeit und bemerkenswerte Stärke im Krieg, die das Rückgrat dieser Geschichte bilden. Folgerichtig stellt sie eine Frau – die Dienerin Hirut – in den Mittelpunkt des Romans. Weiterlesen

Hans Rath: Jetzt ist Sense | Interview: Fünf Fragen an den Autor

Genau! Zeit für geistreiche, unterhaltsame Lektüre! Und Hans Rath hält mit seiner Geschichte was Titel und Cover – in Anlehnung an Dennis Hoppers kultisches Gemälde Nighthawks – versprechen. Eine spannende Story, in der die Protagonistin, die Psychologin Olivia, Bekanntschaft macht mit einem äußerst attraktiven Griechen namens Zino alias Thanatos, Gott des sanften Todes. Ist es wirklich ein Irrtum, dass er bei ihr klingelt? Aber irren sich Götter? Die engagierte Therapeutin muss erkennen, dass einem Unsterblichen nicht zu helfen ist. Warum sollte er aufhören zu rauchen? Was würde sich für ihn ändern, wenn er keinen Alkohol mehr tränke? Und sein Burnout-Syndrom könnte nur von Hades, dem Gott der Unterwelt, durch eine Generalamnestie behandelt werden. Aber eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist im Weiterlesen

Christine Wolter: Die Alleinseglerin

Zum 40. Jahrestag der Erstveröffentlichung hat der Ecco Verlag die Geschichte der Alleinseglerin neu aufgelegt. Für mich eine Entdeckung, die in all den Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat, sprachlich begeistert und überraschend modern ist. Als der Roman von Christine Wolters 1982 beim Aufbau Verlag, Ost-Berlin, veröffentlicht wurde, kam dem Buch und der Autorin nicht die Aufmerksamkeit zu, die beide verdient hätten. Selbst die Verfilmung der Romanvorlage durch die DEFA einige Jahre später änderte nichts daran. Aber die Autorin hatte etwas geschafft, was dem System unheimlich sein musste: sie hatte sich eine legale Umsiedlung nach Mailand erkämpft, um den Mann, den sie liebte, zu heiraten. Sie behielt ihren Pass, konnte in die DDR reisen und nach wie vor beim Aufbau Verlag veröffentlichen. Weiterlesen

Xiaolu Guo: Eine Sprache der Liebe

Ich bin beeindruckt, wie die beiden Protagonisten eine gemeinsame Sprache – und nicht nur für die Liebe –  finden und damit das Fundament für ein gemeinsames Leben legen. Sie, gleichzeitig die Ich-Erzählerin: eine junge Chinesin, ausgestattet mit einem 3-Jahres-Stipendium für ihre Doktorarbeit für das King’s College in London. Ihre Eltern starben kurz vor ihrer Abreise aus China. Sie will alles hinter sich lassen und es wird ein weiter Weg für sie in ein neues Leben. Er: Deutsch-Australier, Landschaftsgärtner mit Fernweh. Die Autorin, die sich als schonungslose Beobachterin zeigt, zeichnet ein lebendiges, nicht sonderlich schmeichelhaftes Bild ihrer neuen Umgebung und erzählt ihre Geschichte über Liebe, Multikulti, Immigration und Feminismus mit Charme und Poesie, schlicht und reduziert. In leicht bissigen Sätzen beschreibt sie die Hochs und Tiefs der Beziehung ohne jegliche Sentimentalität. Was die Geschichte vorantreibt, ist zum Teil die Spannung, die über der aufkeimenden Beziehung liegt: hat unsere Heldin einen riesigen Fehler begangen, indem sie sich mit einem Bootsliebhaber mit Fernweh einlässt? Aber da ist auch etwas fesselndes an dem Ausmaß der Welt, die die Erzählerin bewohnt. Das Buch bewegt sich flott von den Nordlondoner Kanälen nach Schottland, Australien, Deutschland und China. Auf diesem Weg gelingt es Guo, Momente tiefster Dunkelheit zu berühren und dabei beißend, witzig und – letztendlich – lebensbejahend zu sein. Die Autorin lässt ihren Charakteren Raum zu leben und zu leiden, was dem Buch eine schwer erkämpfte Qualität verleiht, die Gewicht trägt.

Foto: Getty Images

Xiaolu Guo wuchs in einer kleinen Stadt in Südchina auf und ist eine der interessantesten chinesischen Künstlerinnen ihrer Generation. Sowohl in China als auch international machte sie sich als Filmemacherin und Autorin einen Namen. 2013 gelang ihr der Sprung auf die „Granta’s list of Best Young British Novelists“. Ihre Romane wurden vielfach nominiert und ausgezeichnet, „Eine Sprache der Liebe“ stand auf der Shortlist für den Goldsmith-Preis. Xiaolu Guo lebt mit ihrer Familie in London und Berlin.

 

Eine junge Chinesin kommt nach London. Sie lässt alles hinter sich, will ein neues Leben beginnen. Doch in der fremden Kultur und der fremden Sprache fühlt sie sich zunächst nur einsam und verloren. Bis sie sich in einen australischen Landschaftsarchitekten mit britisch-deutschen Wurzeln verliebt. Eine vorsichtige Annäherung beginnt. Voller Neugier auf die Fremdheit des Anderen, aber auch voller kultureller Missverständnisse. Beide versuchen, eine tragfähige Sprache als Fundament ihrer Liebe zu finden. Kann diese Liebe für beide zu einer neuen Heimat werden? Authentisch, offen, aber auch mit viel Selbstironie beschreibt Xiaolu Guo die vielfältigen Verwirrungen zwischen West und Ost und erzählt eindrücklich von einer ungewöhnlichen Liebe.

Penguin Verlag – gebunden – 304 Seiten – 24 € – ISBN 978-328-60215-6

Prince Harry: Reserve – Rezension und Anmerkungen

Diesen Hype um sein Buch seitens der Presse hat nicht einmal Namensvetter Harry Potter geschafft. Zwar waren vielleicht die Verkaufszahlen am ersten Tag höher, aber, die wie es scheint ungeteilte Aufmerksamkeit der gesamten weltweiten Presse, gilt »Reserve«. Seit den ersten Indiskretionen und besonders seit dem angeblichen Fehlstart in Spanien halten die Erinnerungen von Prinz Harry die Welt in Atem. Was aber bleibt, wenn man die Angriffe auf Familie, Institution (Krone, Anm. der Rezensentin) und Presse ausblendet? Und ich frage mich, warum hat sich Prince Harry einen Ghostwriter ins Boot geholt, noch dazu einen amerikanischen, wo er doch schon »als Schüler gebildet genug war«, zu beurteilen, dass ein Artikel über ihn »Analphabetismus vom Feinsten» war. Verstehen Sie mich bitte richtig, für mich ist J.R. Moehringer, Pulitzerpreisträger, über jeden Zweifel erhaben und er hat – wie schon bei Weiterlesen

Katherine Mansfield: Fliegen, Tanzen, Wirbeln, Beben

Hinter diesem dynamischen Titel verbergen sich Tagebucheintragungen der Meisterin der Kurzgeschichten, dem damaligen Star der Londoner Literaturszene: Katherine Mansfield. Und all das, was der Titel impliziert, findet man in den Aufzeichnungen einer außergewöhnlichen Frau, die für ihre Freiheit kämpfte und gegen die diagnostizierte Tuberkulose anschrieb. Auch wenn ihr nur eine Lebensdauer von 34 Jahre vergönnt war, füllte sie diese Zeit bis an den Rand. Mansfield gehörte zur verlorenen Generation des 1. Weltkrieges. Keiner ihrer männlichen Freunde, die an die Front gingen, kehrte zurück. Der Verlust ihres geliebten, jüngeren Bruders, der ebenfalls nicht von der Front zurückkehrte, traumatisierte sie. Und wie tragisch, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten und sie nur ein überschaubares, vollendetes  Werk hinterließ. Weiterlesen

Elin Wägner: Die Sekretärinnen

Schweden scheint schon immer liberal und fortschrittlich gewesen zu sein, so dass es erstaunt, dass auch in diesem Land die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts für ein selbstbestimmtes, wirtschaftlich unabhängiges Leben kämpfen mussten. Als »Die Sekretärinnen« 1908 erschien, gab es zwar schon das kommunale Wahlrecht für Frauen, aber erst 1921 sicherte ein Gesetz den Frauen das nationale Wahlrecht. Der Einblick, den uns die Autorin gewährt, hat in über 100 Jahren nichts an Aktualität verloren. Wie Frauen weltweit, mussten auch schwedische Frauen lernen, sich in der patriarchalischen Arbeitswelt zu behaupten. Und »me too«-Erfahrungen tauschte man allenfalls im geschützten Raum der eigenen vier Wände aus. Elin Wägner war eine dieser modernen Frauen, Pionierinnen und Wegbereiterinnen und daher überrascht auch die moderne Sprache mit einem Schuss Verspieltheit und Witz nicht. Inwieweit die neue Übersetzung dazu beigetragen hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall hat Wägner es verstanden, uns auf – nur – 176 Seiten ihre Protagonistinnen Elisabeth, Eva, Baby und Emmy samt deren jeweiliger Geschichte nahezubringen und den Sekretärinnen ein Denkmal zu setzen. Weiterlesen

Heike Koschyk: Das Glück unserer Zeit Band 1 und 2

Wer den ersten Teil dieser Familiengeschichte gelesen hat, will auch den zweiten Teil lesen, und zwar sofort. Daher meine Empfehlung: beide zusammen erstehen. Und aus dem Grund habe ich mich entschlossen, beide Bände zusammen vorzustellen. Zugegeben, Familiengeschichten sind zurzeit in Mode, aber auch wenn man schon die eine oder andere Saga gelesen hat, sollte man diese ausgezeichnet recherchierte und umgesetzte Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie nicht versäumen. Weiterlesen