Gisela Stelly Augstein: Der Fang des Tages

Nach der Lektüre von Gisela Stelly Augsteins „Der Fang des Tages“ weiß ich: Richtig Erben ist nichts für Anfänger. Und die Mitglieder der Familien Escher und K. wissen: wer zu diesen Familien gehört, braucht keine Feinde mehr. Denn statt sich an dem zugedachten Erbe und den damit verbundenen Möglichkeiten zu erfreuen, brechen moralische Dämme, machen Bahn für die niedrigsten Instinkte, werden die inneren Raubtiere von der Leine gelassen und Jagd auf das Erbe des anderen gemacht. Es wird gelogen und betrogen (auch um Lug und Betrug aus der Vergangenheit unter dem Teppich zu halten), intrigiert und manipuliert, ge- und bedroht, Allianzen geschmiedet – nicht immer die glücklichsten – und nur wenige bekommen, was ihnen zusteht. Und vielleicht gibt es ja einen gerechten Gott, der in letzter Minute verhindert, dass Gelder ungewisser Herkunft, von einem Schweizer Nummernkonto auf ein Österreichisches Nummernkonto transferiert, um die eigene Mutter um ihr Erbe zu bringen, endlich bei dem Unersättlichsten aller Gierigen landen. Denn es gibt noch ein Familiengeheimnis der Eschers, über das unter Androhung der Todesstrafe verboten ist, zu reden. Einzig das jüngste Escher-Familienmitglied Mila beschäftigen die Fragen, ob beim Kauf der eldamo-Textilfabrik tatsächlich der korrekte Preis gezahlt wurde und ob Rosa und Julius Auerbach tatsächlich die Flucht geglückt war. Und bei den Ks? Wer ist letztlich der Königsmacher und Nutznießer des erheblichen Vermögens? Die eigentlichen drei Profiteure dieser Erbfälle sind keine Familienmitglieder: Lena Grau, in Ungnade gefallene rechte Hand des Erblassers K., Larissa Berger, Drehbuchautorin und Otto Mayer, IT-Sicherheitskraft und Krimiautor. Die Insiderinformationen, die sie von Beteiligten erhielten, reichen für eine Biografie, eine TV-Serie und einen Krimi. Augsteins Roman verwebt geschickt und temporeich die Familiengeschichten der Eschers und Ks, ohne die Ausarbeitung der einzelnen Charaktere zu vernachlässigen. Und „Der Fang des Tages“ belegt, dass Familiengeschichten spannend wie ein Thriller sein können.

 

Foto: André Rival

Gisela Stelly Augstein ist Autorin mehrerer Romane, Journalistin und Filmemacherin. Sie lebt in Hamburg.

 

 

 

 

 

„Der Fang des Tages“ erzählt von einem Geschehnis, das auch die besten Familien ins Straucheln bringt: dem Erben. Elfriede Escher, Unternehmerwitwe, liegt auf dem Totenbett, da eilen die Kinder Alex, Dora, Benjamin herbei, alle drei lang aus dem Haus. Und Mila, die gerade erwachsene Nachzüglerin, die mit Gewissensbissen kämpft, weil sie in der Todesnacht neben der sterbenden Mutter eingeschlafen ist. Mit der Testamentseröffnung beginnt das Hauen und Stechen um das Erbe, die Villa, die Gelder auf den Schweizer Konten. Jeder ist sich selbst der Nächste, das gilt genauso für die angeheiraten Partner in diesem Familienroman, der, rasant erzählt, von einer mitunter bitterbösen Unterströmung getragen wird. Auf einer zweiten Ebene ihres raffinierten Romans entwirft Gisela Stelly Augstein das Szenario eines ganz anderen und dennoch ähnlichen Erb“falls“ – des Todes eines Medientycoons. Ein dunkles Vergnügen …

Edition W GmbH – gebunden – 270 Seiten – 22,00 € – ISBN 978-3-949-67108-1