Gastrezension: Rolf Meier-Lenz
Der Roman „Mein Bruder“ ist der Auftakt einer Trilogie um die Ich-Erzählerin Jana Kippo,die in Schweden – nach einer halben Million verkauften Büchern – bald zur TV-Serie werden soll. Am Anfang vom ersten Band eins, der hier vorgestellt wird, stapft Jana Kippo durch tiefen Schnee. Sie ist auf dem Weg zu ihrem Zwillingsbruder, der auf dem Gehöft ihrer Eltern in der nördlichen Provinz Västerbotten lebt. Schon auf der ersten Seite von „Mein Bruder“ spürt man , dass diese Heimkehr für die Mittdreißigjährige alles andere als einfach wird. Doch wenn Jana ihren alkoholabhänigigen Zwillingsbruder davon retten will, sich zu Tode zu trinken, muss sie bei ihm bleiben – an diesem Ort, an dem beide als Kinder Schreckliches erlebt haben. Es sind kurze, knappe Sätze in denen die Autorin in Flashbacks von der Kindheit erzählt die die Kippo-Zwillinge durchgemacht hatten. Vom Vater, der die Tiere auf dem Hof quält, die Tochter missbraucht, den Sohn misshandelt. Und die Mutter sieht dem Treiben tatenlos zu. Selbst vom Ehemann misshandelt versucht sie Zuflucht in Bibelsprüchen die sie hundertfach in Zierdeckchen stickt .Die erwachsene Jana Kippo erzählt davon mit abgründigen Humor – genauso wie von ihrer Gegenwart, in der sie einen Job als Altenpflegerin im Dorf annimmt und dabei auf Familiengeheimnisse stößt.
Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt. Erzählt mit rauer Zärtlichkeit und ein ganz eigenen Sprache voller Leidenschaft, Spannung und Humor. Es geht um das Leben und um das Allerwichtigste: Vergebung. Was beim Lesendes Romans irritiert: Außer dem Punkt gibt es keine Satzzeichen. Kommata fehlen, genauso wie Fragezeichen oder Anführungszeichen. Was im Buch gesagt oder nur gedacht bzw. beobachtet wird, muss man selbst herausfinden. Vor- und Nachnamen sind zusammengeschrieben, um dem schwedischen Original möglichst nahezukommen. Der Roman war eine Herausforderung für die Übersetzerin Ursel Allenstein, der mit „Mein Bruder“ eine überzeugende deutsche Version gelungen ist für diesen packenden Roman. Denn die Geschichte von Jana Kippo wirkt wie ein Sog, der hineinführt in komplexe, zutiefst menschliche Fragen: Wie ensteht Gewalt? Welche Wunden kann Kunst heilen? Wo findet Vergebung ihr Ende?
Man darf die Fortsetzung auf Deutsch des Romans gespannt warten ebenso auf die geplante Verfilmung des schwedischen Bestsellers. Der Debütroman von der Fotografin, Karatelehrerin, Journalistin und Altenpflegerin Karin Smirnoff, geboren 1964 in Umeå, die heute als Schriftstellerin und Leiterin einer Holzfabrik in Pitea lebt hat nicht nur die schwedische Literaturszene überrascht und begeistert sondern dürfte ebenso in Deutschland seinen verdienten Erfolg haben.
Der Roman wurde am Mitttwoch den 24. November unter Anwesenheit der Autorin Karin Smirnoff und der Übersetzerin aus dem Schwedischen Ursel Allenstein in der Nordischen Botschaft Berlin der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt.
Er ist beim Hanser Literaturverlag Berlin, November 2021 erschienen. ISBN 978-3-446-26942-2, 336 Seiten und im Buchhandel für 24 Euro zu erwerben.
Rolf Maier-Lenz