Alle Artikel von Angela Perez

Markus Gasser: Lil

Ich kann nur staunen, was Markus Gasser alles in rund 240 Seiten zu packen vermag. Ein wahrer Künstler des Komprimierens. Es wimmelt nur so von Figuren und Nebenfiguren, Gedanken, Ideen, Geschichten und Nebengeschichten, dass ich mich zeitweise wie auf der Achterbahn fühle. Innerhalb von drei Seiten weiß ich, dass die Ich-Erzählerin Sarah aufgrund einer Krebs-OP und der damit einhergehenden Strahlentherapie von ihrem Job als Journalistin des Wall Street Journals beurlaubt wurde und sie die Ur-ur-ur-urgroßenkelin der Titelgebenden Protagonistin Lil (Lilian Cutting) ist. Gasser erzählt seine Geschichte nicht chronologisch, sondern springt munter von einer Zeitebene in die andere – vom Krankenbett im hier und heute ins New York Weiterlesen

Margaret Meyer: Die Hexen von Cleftwater

Wer bei Hexen an charmante, liebenswerte Wesen, Romantik und Fantasy denkt, muss nicht weiterlesen. Margaret Meyer geht es in ihrem Debütroman um knallharte Hexenverfolgung, für die sich Inspiration bei den Hexenjagden in East Anglia, England – Mitte des 17. Jahrhunderts – holte. Es ist der unverklärte Blick auf die Ereignisse jener Zeit. Und es ist ein bemerkenswertes Debüt: aufwendig recherchiert, ausgezeichnet geschrieben, atmosphärisch überzeugend. Meyer befleißigt sich einer schnörkellosen Sprache, die die Geschichte gelegentlich wie einen Tatsachenbericht wirken lässt und dadurch sehr eindringlich wird. So zum Beispiel, wenn sie vom Tod eines Kindes, von Missbrauch, Folter oder dem Tod eines Kindes erzählt. Die Autorin beschreibt glaubhaft die Situation der Frauen, das Klima der Angst, erzählt von den Denunzierungen, um selbst den Schergen des Weiterlesen

Anne Jacobs: Der Dorfladen

Anne Jacobs erzählt ihren neuen Mehrteiler über den Dorfladen des fiktiven Dorfes Dingelbach am Fuße des Taunus zwar routiniert, aber mit Herzblut. Und das aus gutem Grund: es ist unter anderem auch die Geschichte ihrer Mutter Frieda, der zweiten Tochter von Marthe Heller, ihres Zeichens verwitwete Dorfladenbesitzerin und Mutter von insgesamt drei Töchtern. Herta, die Vernünftige, Besonnene, die immer etwas zu tun haben muss, Frieda (17), die Verträumte, die schon als Kind Geschichten und Theaterstücke schreibt und für das jährliche Krippenspiel verantwortlich ist, aber Schauspielerin werden möchte und die Jüngste, Ida (13) schlau, wissbegierig, die Beste der Schule und völlig unterfordert.Jacobs beginnt ihre Saga im Oktober 1923, 5 Jahre nach Ende des 1. Weltkrieges. Viele Männer sind im Krieg gefallen die Witwen kämpfen ums Überleben, die Hyperinflation steuert auf ihren Höhepunkt zu. Man merkt, diesem Buch liegen neben Erzählungen aus dem persönlichen Umfeld auch gründliche Rechercheergebnisse zugrunde.

Innerhalb weniger Seiten bin ich in die Romanwelt eingetaucht. Neugier treibt mich voran. Denn: die einzelnen Erzählstränge sind spannend, atmosphärisch dicht, flott geschrieben und ich möchte wissen, wie es den Protagonisten im weiteren Verlauf ergeht (neben den Damen Haller treffe ich auf die resolute Ilse Küpper, die sich um die Stockschirmfabrik und die dazugehörige Villa der Familie kümmert. Ich erfahre, wie sehr die von allen Mädchen des Dorfes beneidete Jungbäuerin Helga unter ihrer Schwiegermutter und unter ihrem Mann, Bauer und Bürgermeister von Dingelbach zu leiden hat). Können sie ihre Träume und Wünsche realisieren, sich gegen Widersacher behaupten und schlussendlich ihr Glück finden?

Foto: Fotostudio Marlies GbR

Anne Jacobs veröffentlichte unter anderem Namen bereits historische Romane und exotische Sagas. Mit »Die Tuchvilla« gestaltete sie ein Familienschicksal vor dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte und stürmte damit die Bestsellerliste. Nach ihrer ebenfalls sehr erfolgreichen Trilogie um »Das Gutshaus«, die von einem alten herrschaftlichen Gutshof in Mecklenburg-Vorpommern und vom Schicksal seiner Bewohner in bewegten Zeiten erzählt, legt Anne Jacobs nun fünften Band der »Tuchvilla«-Saga vor.

Der kleine Dorfladen von Marthe Haller ist das Herz des Örtchens Dingelbach am Fuße des Taunus. Hier kauft man ein, erfährt die neuesten Nachrichten und findet Unterstützung in allen Lebenslagen. Marthes Töchter greifen ihrer Mutter unter die Arme, wo es nur geht. Doch Frieda, die Mittlere der drei, hat große Träume: Sie hat sich in den Kopf gesetzt, Schauspielerin zu werden – zum Entsetzen ihrer Mutter. Zwischen dörflicher Tradition und Zusammenhalt, harter Arbeit und den Verlockungen der großen Stadt Frankfurt, muss Frieda noch einige Steine aus ihrem Weg räumen …

Blanvalet Verlag – broschiert – 576 Seiten – 18,00 € – ISBN 978-3-7645-0843-2

 

 

 

 

Àlvaro Enrigue: Von Königreichen hast du geträumt

Álvaro Enrigues Geschichte um das Treffen der Protagonisten Moctezuma, Azteken Herrscher und Hernán Cortés, spanischer Eroberer in der aztekischen, schwimmenden Hauptstadt Tenoxtitlán im Jahre 1519, ist eine Hommage an die Möglichkeiten der Erzählung: dessen, was ist, was es war, es hätte sein können, muss gewesen sein oder sonst noch was. Es ist ein außergewöhnlicher Roman, der in Mysterien, Gewalt, Machtgefühl und Träume gehüllt ist. Enrigue nimmt sich seiner Geschichte mit der Inspiration eines alten Schamanen, als unerschütterlicher Schöpfer an, statt sich den historischen  Beweisen der Vergangenheit zu beugen. Und man kann sich gut vorstellen, dass der Autor viel Spaß beim Schreiben jeder einzelnen Seite hatte. Es strotzt nur so von lebendigen Details Weiterlesen

Gary Victor: Der magische Pfad

Gary Victors epischer Roman lässt sich in keine Schublade stecken: er ist vielschichtig und fröhlich, bei aller Länge nie langweilig und es ist eine Vermischung von Religion, Philosophie, Tod, Freundschaft, Treue, Politik und Liebe. Und es geht um den Zustand seines Landes Haiti, von seinen Anfängen bis heute. Victor hat seine Geschichte und seine Charaktere – die Lebenden wie die Toten, die Untoten, die Voodoo-Abwesenden – im Griff. Keiner verliert sich in Voodoo-Traditionen oder Religion. Die Abenteuer von Sonson und die Nebengeschichten ziehen den Leser in den Bann. Auf der Suche nach seinem Freund Persée Persifal muss Sonson Abenteuer bestehen in dem er Geschichten erzählt. Und so erzählt Sonson Geschichten aus Persées Weiterlesen

Annabelle Hirsch: Die Dinge

Annabelle Hirsch hat sich für Ihr – für mich überaus gelungenes Debüt – ein rechercheintensives Thema gewählt und es bestens umgesetzt und gemeistert. 100 Kapitel. 100 Objekte (Frau nicht inbegriffen). Flott, unterhaltsam bis witzig und leicht verständlich geschrieben, stellt die Autorin Gegenstände aus dem Alltag der Frauen, deren Bedeutung und ihren Einfluss vor und teilt mit der Leserschaft ihren Blick auf „Die Dinge“ “ (beispielhaft seien hier erwähnt: Chopines (Plateauschue), Daumenschraube, Phrygische Mütze, Analytical Engine, Die Hutnadel, Chanel No. 5, Lippenstift, Klebezettel der Widerstandgruppe „Rote Kapelle“, Bikini und Minikleid). Ob man sich den einzelnen Themen chronologisch (beginnend 30.000 v. Chr. mit Verheilter Oberschenkelknochen) oder zufällig (bis 2017 Pussy Hat) nähert, obliegt den Leserinnen Weiterlesen

Paula Rodriguez: Dringliche Angelegenheiten

Wer sagt, dass ein Krimi immer ernst, furchteinflößend und spannend bis zum Herzkasper sein muss? Spätestens nach der Lektüre von Paula Rodriguez Debütroman weiß man, es geht auch anders: Schrill, mit schwarzem Humor, thematisiert Rodriguez systemische Polizeikorruption, die Bindung an den römischen Katholizismus und die Macht der Medien. Dabei ausgezeichnet geschrieben mit einem Gefühl für die Sprache, die bei der Polizei, im Fernsehen, im Zusammenhang mit den neuen Technologien und sogar in der Religion verwendet wird. Rodriguez erzählt ihre Geschichte schnell, witzig, mit beißendem Sarkasmus und vielen spannenden Momenten, aber auch sehr unterhaltsam aus der Perspektive der Weiterlesen

Rainer Hank: Die Pionierinnen

Wie weit der Weg vom Maria-Frisé-Anekdoten erzählenden Journalisten und Kollegen, den die geneigten Zuhörer immer wieder aufforderten, die Histörchen zu Papier zu bringen, hin zu dem Autor von „Die Pionierinnen“ gewesen ist, kann nur Rainer Hank sagen. Wir, Leserinnen und Leser, können uns glücklich schätzen, dass er ihn gegangen ist und vor allem, wie er ihn gegangen ist. Es wäre unter seiner Würde und unter deren, der hier beschriebenen und portraitierten Journalistinnen gewesen, hätte er sich auf die bloßen Anekdoten beschränkt. Und so setzt Hank die Portraits der 12 Journalistinnen in einen zeitlichen und politischen Kontext und schlägt die Richtung Sachbuch ein. Der Titel „Die Pionierinnen“ ist mit Bedacht gewählt und steht im engeren Sinne für die Journalistinnen in der jungen Bundesrepublik, grenzt aber all die anderen Pionierinnen, die sich in anderen Weiterlesen

Marcel Huwyler: Frau Morgenstern und der Abgrund

Marcel Huwyler schickt seine Protagonisten Violetta Morgenstern, pensionierte Lehrerin, die sich nun als Problemlöserin betätigt – mal als Auftragskillerin, mal als Ermittlerin und ihren Kollegen Miguel Schlunegger, seines Zeichen Ex-Söldner und mit allen möglichen Kampfsporttechniken vertraut, ins fünfte Abenteuer. Und der Warnung des Autors, ja nicht die letzte Seite zuerst zu lesen, möge die geneigte Leserschaft bitte Folge leisten! Huwyler erzählt seine Geschichte in einer mit Sorgfalt verwendeten Sprache auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen: im hier und jetzt und in der Zeit um 1937. Beide, sowohl Violetta als auch Miguel, zwei gewissermaßen schrullige Charaktere in verschrobenen Lebensumständen, haben sich weiterentwickelt Weiterlesen

Lisa Graf: Dallmayr – Das Erbe einer Dynastie

Lisa Graf ist Wiederholungstäterin im besten Sinne! Alles, was ich zu den ersten beiden Bänden der Trilogie geschrieben habe, trifft für den dritten Teil vollumfänglich zu: die Charaktere sind glaubwürdig weiterentwickelt worden, wieder hat die Autorin sehr gut recherchiert und ist ihrem bildhaften, aber vor allem flotten Schreibstil treu geblieben. Dabei spannend von Anfang bis Ende. Bei allem, was das Haus Dallmayr repräsentiert – Luxus, Exotik, beste Qualität und nur das Feinste aus aller Welt – der Familie Randlkofer blieb wie anderen Familien nichts erspart. Sie müssen den Verlust der Matriarchin, Therese Randlkofer, betrauern Weiterlesen