Eigentlich lese ich nicht gern Texte am Computer. Ich liebe es, ein Buch in der Hand zu halten, den Moment, wenn ich das Buch zum ersten Mal öffne, die Haptik, den Geruch, das Gewicht und – wie sich die Seitenmenge von rechts nach links bewegt. Allerdings obsiegte meine Neugier und ich wollte wenigstens mal einen Blick in den vom Verlag vorab zur Verfügung gestellten PDF-File werfen. Was kann ich sagen? Ich blieb hängen, gefesselt von den Geschichten um die Protagonistinnen Mathilde (geboren 1911) und Katja (geboren 1947). Zwei Frauen, zwei Generationen, zwei Schicksale, Kämpfe um Anerkennung, Selbstbestimmung, Recht auf Bildung und Ausbildung, aber auch zwei Frauen, intelligent, zielstrebig und – mutig. Die Autorin zeichnet glaubwürdige Bilder der jeweiligen Zeit, in der die Protagonistinnen leben. Ich
spüre, die Themen ihres Romans – Demokratie, Freiheit und die große Liebe – liegen Felicitas Fuchs alias Carla Berling am Herzen. Es ist ein Schreiben gegen das Vergessen, ein Schreiben für die Erinnerung. Im Fall von Mathilde ist es die Zeit zwischen den Kriegen: die entbehrungsreiche Zeit nach dem 1. Weltkrieg, die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, Judenverfolgung, Denunzierung, der auch Mathilde zum Opfer fällt, Reichskristallnacht, 2. Weltkrieg. Im Fall von Katja ist es ebenfalls die entbehrungsreiche Nachkriegszeit, Wiederaufbau, Spießigkeit und Wirtschaftswunder. Während die Beatles die Welt eroberten, musste eine deutsche Frau die Erlaubnis ihres Mannes haben, wenn sie arbeiten wollte. Die Frauen sind noch weit entfernt von Gleichberechtigung oder gar Gleichstellung, Bildung bleibt noch immer den männlichen Nachkommen vorbehalten, alles andere ist Firlefanz und Geldverschwendung. Aber die Mädchen und Frauen kämpfen für ein selbstbestimmtes Leben und dafür, dass ihr Körper ihnen gehört. Abreibungen sind – noch – in Deutschland verboten und als 200 prominente, mutige Frauen im „Stern“ sich dazu bekennen, abgetrieben zu haben, geht ein Aufschrei durch Deutschland. Spätestens ab Seite 150 fragte ich mich wie und wann die Autorin die beiden Erzählstränge verbindet. Aber keine Sorge, ich verrate nix! Der Weg zur Auflösung führt durch ein Stück deutsche Geschichte, zeigt die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen und ist dabei spannend und unterhaltsam.

Foto: Philippe Ramakers
Felicitas Fuchs ist das Pseudonym der Erfolgsautorin Carla Berling, die sich mit Krimis, Komödien und temperamentvollen Lesungen ein großes Publikum erobert hat. Schon bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, war sie als Reporterin und Pressefotografin immer sehr nah an den Menschen und ihren Schicksalen. Für ihre historischen Familienromane lässt sie sich gern von Geschichten aus dem wahren Leben inspirieren. Mit ihrer Mütter-Trilogie gelang ihr auf Anhieb ein SPIEGEL-Bestsellererfolg.
Bielefeld, 1963. Katja Schilling wächst im Wirtschaftswunder in einfachen Verhältnissen auf, in denen für ihren Traum, Ärztin zu werden, kein Platz ist. Nur ihr Großvater glaubt an sie – bis er eines Tages spurlos verschwindet. Sein Name wird in der Familie zum Tabu, und Katja bleibt mit ihren unbeantworteten Fragen allein. Jahre später stößt sie auf eine Wahrheit, die alles, was sie über ihre Familie zu wissen glaubte, erschüttert.
Bielefeld, 1936. Mathilde Schneeweiß beginnt ihre Arbeit als Sprechstundenhilfe bei Dr. Bönisch. Sie verliebt sich in den engagierten Arzt und wird in ein gefährliches Unterfangen hineingezogen. Gemeinsam helfen sie heimlich Frauen in Not, aber ihr Mut bleibt nicht unbemerkt. Als sie ins Visier der Gestapo geraten, muss Mathilde eine Entscheidung treffen, auch wenn diese sie das Leben kosten könnte. Der Kampf für die Rechte der Frauen muss schließlich weitergehen …
Heyne Verlag – broschiert – 416 Seiten – 16,00 € – ISBN 978-3-4534-2904-8
Fünf Fragen an die Autorin
Heute: Felicitas Fuchs und ihr neuester Roman „Die Akte Schneeweiß“
Liebe Frau Fuchs,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem neuen – dem vierten Roman aus der Reihe von Felicitas Fuchs. Leser: innen sind neugierige, wissbegierige Menschen und deshalb würde es mich sehr freuen, wenn Sie Antworten auf meine 5 folgenden Fragen haben.
Wie geht es Ihnen jetzt, wo das Buch, dessen Thematik Ihnen ganz offensichtlich am Herzen liegt, auf dem Markt ist?
Danke für die Glückwünsche! Ich bin gespannt – und vielleicht auch ein bisschen unruhig. „Die Akte Schneeweiß“ ist ein Buch, das mir wichtig ist. Ich weiß, dass das Thema nicht leicht ist. Aber ich glaube daran, dass wir über solche Geschichten sprechen müssen – gerade heute. Und da ich in den nächsten Monaten viele Lesungen dazu habe, ist das Buch für mich noch lange nicht „draußen“ im Sinne von abgeschlossen. Ich nehme die Geschichte mit auf die Bühne, erzähle sie weiter, höre Reaktionen, führe Gespräche. Es ist eher der Anfang als das Ende.
Die Figuren der Mathilde und Katja sind so gelungen und realistisch, dass man sich fragt, wieviel Felicitas Fuchs steckt in ihnen oder gibt es andere reale Personen, die den Protagonisten zugrunde liegen?
Ja, der Großvater ist die Figur, die tatsächlich gelebt hat und von der mir jemand erzählt hat. Nach einer Lesung aus meiner Trilogie, in der es um ein (unser) Familiengeheimnis geht, kam eine Frau zu mir und erzählte, dass es auch in ihrer Familie ein Geheimnis gebe: Eines Tages sei ihr Großvater verschwunden und sein Name durfte nie wieder erwähnt werden. Das war natürlich eine Steilvorlage für mich. Die Handlung ist fiktiv, auch die Figuren, die darin spielen. Die historischen Ereignisse in Bielefeld und Brackwede sind überwiegend historisch belegt. Aber: Ein Roman erzählt die Wahrheit über Ereignisse, die so nie stattgefunden haben. Einige Passagen aus Heidis Leben stammen aus meiner eigenen Erfahrung – ich habe im Einzelhandel eines Kaufhauses gelernt.
Kennen Sie die Angst vor der ersten Seite?
Nein! Ganz im Gegenteil, in meinem Kopf sind so viele Geschichten, dass ich immer befürchte, nicht mehr genug Zeit zu haben, um sie alle zu erzählen.
Eine Geschichte begleitet den Autor über eine gewisse Zeit: Idee, Recherche, Schreiben, Veröffentlichung, Bewerbung, Lesungen… Haben Sie ein Ritual diese Phase abzuschließen, sozusagen das Buch ins Regal zu stellen?
Abgeschlossen habe ich bisher eigentlich nur mit meiner Krimiserie – die ist beendet, das Kapitel ist zu. Alle anderen Bücher begleiten mich weiter, oft über Jahre. Gerade auf Kreuzfahrten lese ich zum Beispiel an sieben Tagen aus sieben verschiedenen Romanen – da lebt jedes Buch noch einmal auf.
Ein endgültiges „Ins-Regal-Stellen“ gibt es für mich selten. Ich lebe ohnehin in mehreren Projekten gleichzeitig. Während ich noch mit der Mütter-Trilogie und meiner neuen Komödie unterwegs bin, habe ich schon die Lesungen zu »Die Akte Schneeweiß« vorbereitet. Parallel dazu ist ein neuer Roman fertig, der nächstes Jahr erscheint – und aktuell schreibe ich wieder an einer Komödie, die unter dem Namen Carla Berling erscheint. Das mag von außen nach viel klingen, für mich ist es normal. Drei Bücher in unterschiedlichen Phasen – das ist mein Arbeitsrhythmus. Und ich liebe es genauso.
Nach dem Buch ist vor dem Buch. Gibt es bereits Ideen für eine neue Geschichte?
Ja, etliche. Wie gesagt, ein Roman nach »Die Akte Schneeweiß« ist fertig, die Komödie entsteht grade – und in meinem Kopf reifen zwei weitere Felicitas-Fuchs-Stoffe.
Vielen Dank!