Schlagwort: Suizid

Woran ich lieber nicht denke, Jente Posthuma

Erst einmal muss man sich an den Stil des Romans gewöhnen. Kurze Kapitel, die sprunghaft und von Gedanken, Situationen, manchmal Gesprächen oder Erinnerungen geprägt sind. Als Leser heißt es erst einmal, orientiere dich. Und hat man begonnen zu verstehen, ist kaum im Text angekommen, endet das Kapitel schon wieder. Auch die Gefühle, die sich hauptsächlich mit ihrem Bruder auseinandersetzten, sind sprunghaft und sehr ambivalent. Ich liebe dich, liebe ich dich? Du bist mir nah, du bist wie ich, eigentlich kennen wir uns nicht, so fremd bist du mir. Dennoch geht es um zwei Menschen, die immer zusammen waren, dabei so selbstverständlich, wie man sich selbst nahe ist. Und all diese zum Teil verstörenden Gefühle gehen nicht nur von der überlebenden Schwester aus. Eigentlich wir hier von der Tiefen Trauer des Bruders berichtet, der sein emotionales Leben nie in den Griff bekam und daher den für ihn einzig möglichen Schritt machte. Ein Schritt, der seine Seelenverwandte, sein Zwillingsschwester zurückließ.

Was wie ein zerstückeltes Tagebuch anmutet, versucht ein Gefühl der Leere wieder zu begraben, welches aufreißt, wenn ein geliebter Mensch in den Freitod geht. Jente Posthumas Stil ist jung, spritzig und für eine bereits fünfzigjährige Autorin erstaunlich konventionslos. Es ist ein Buch, das man schnell lesen kann, weil es einen verleitet noch ein Kapitel und noch ein Kapitel anzugehen, doch auch ein Buch, das einem am Ende nur schwer entlässt. Definitiv eine Leseempfehlung! Weiterlesen

GOTT, Ferdinand von Schirach

GOTT von Ferdinand von Schirach

Ein kerngesunder 78 Jahre alter Mann will nach dem Tod seiner Frau, mit der er 42 Jahre verheiratet war, nicht mehr leben. Er hat sich für seinen Suizid entschieden und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital beantragt. Ein Medikament, das in anderen Ländern von Sterbehilfeorganisationen eingesetzt wird. Das wurde abgelehnt, daraufhin wandte er sich an seine Ärztin, die keine Beihilfe zum Suizid leisten möchte und auch aufgrund des ärztlichen Ethos ihre Zweifel hat. Ein Ethikrat erörtert den Fall mithilfe eines medizinischen, eines theologischen und eines Rechts-Sachverständigen. Eine rein ethische Entscheidung steht an, die bei diesem Theaterstück mal wieder das Publikum treffen muss.

Genau wie bei dem Theaterstück Terror, überlässt Ferdinand von Schirach wieder dem Leser bzw. dem Publikum die Entscheidung. So stößt der Autor einen komplexen, moralphilosophischen Denkprozess an. Vor allem, weil das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Situation endlich im Februar 2020 geklärt hat. §217 des Strafgesetzbuches wurde als verfassungswidrig erklärt.

Weiterlesen

Juli Zeh: Leere Herzen

„Da. So seid ihr.“ Das sind die ersten vier Worte von Juli Zehs neuem Roman. Und ich schwöre Ihnen, wenn Sie das Buch gelesen haben, werden Sie über diese zwei kleinen Sätze lange nachdenken.

Ein unglaublich spannender Politthriller, der in nicht allzu ferner Zukunft spielt. Einem Deutschland, das Merkel hinter sich gelassen hat, und von der BBB Partei regiert wird. Man versteht sehr schnell, wer sich hinter dem Pseudonym BBB verbirgt. Das Bürger- und Menschenbild, das Juli Zeh in ihrem Roman kreiert, ist leider bereits auf dem besten Weg, die Zukunft von Deutschland zu übernehmen. Die Saat, des zynischen Pragmatismus, die Hoffnungslosigkeit, Verantwortungslosigkeit und das Desinteresse an Politik fängt bereits an, unsere Grundrechte und die Demokratie zu gefährden. Das Buch ist nicht nur eine Mahnung, es ist ein hochintelligenter Politthriller, der so spannend ist, dass man ihn nicht weglegen kann und vor allen Dingen noch lange darüber grübeln wird.  Literatur der Superlative! Gratulation Frau Zeh!

Weiterlesen