Ein kerngesunder 78 Jahre alter Mann will nach dem Tod seiner Frau, mit der er 42 Jahre verheiratet war, nicht mehr leben. Er hat sich für seinen Suizid entschieden und beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital beantragt. Ein Medikament, das in anderen Ländern von Sterbehilfeorganisationen eingesetzt wird. Das wurde abgelehnt, daraufhin wandte er sich an seine Ärztin, die keine Beihilfe zum Suizid leisten möchte und auch aufgrund des ärztlichen Ethos ihre Zweifel hat. Ein Ethikrat erörtert den Fall mithilfe eines medizinischen, eines theologischen und eines Rechts-Sachverständigen. Eine rein ethische Entscheidung steht an, die bei diesem Theaterstück mal wieder das Publikum treffen muss.
Genau wie bei dem Theaterstück Terror, überlässt Ferdinand von Schirach wieder dem Leser bzw. dem Publikum die Entscheidung. So stößt der Autor einen komplexen, moralphilosophischen Denkprozess an. Vor allem, weil das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Situation endlich im Februar 2020 geklärt hat. §217 des Strafgesetzbuches wurde als verfassungswidrig erklärt.
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Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen »großartigen Erzähler«, die New York Times einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist, der Daily Telegraph schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Die Erzählungsbände »Verbrechen«, »Schuld« und »Strafe« und die Romane »Der Fall Collini« und »Tabu« wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern. Sein Theaterstück »Terror« zählt zu den weltweit erfolgreichsten Dramen unserer Zeit. Ferdinand von Schirach wurde vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm sein persönlichstes Buch »Kaffee und Zigaretten« sowie »Trotzdem«, ein Band mit Gesprächen mit Alexander Kluge.
Das Theaterstück GOTT ist einmal mehr der Beweis, dass Ferdinand von Schirach die komplexesten und kompliziertesten ethischen Fragestellungen in verständlichen, fundierten Texten auseinandernehmen kann. Dabei ist das Theaterstück lebendig und gespickt von scharfen Wortgefechten zwischen den Sachverständigen und dem Rechtsanwalt Biegler. Als Leser ist es einfach sich in die Gefühle und Wünsche des Mannes, der so unbedingt sterben möchte, reinzudenken. Man versteht auch die rechtlichen und medizinischen Für und Wider, wobei die theologischen Argumente sich wahrscheinlich nur sehr gläubigen Menschen auftun.
Und es ist am Ende dieses Für und Wider, mit denen der Autor das Publikum allein entscheiden lässt. Denn die Frage ist nicht rechtlicher Natur, das ist bereits vom Bundesverfassungsgericht in 2020 entschieden worden. Die Frage, ob man es für richtig hält, einem gesunden Menschen ein tödliches Medikament zu gehen, ist eine grundsätzliche, ethische Frage.
Sehr erwähnenswert sind auch die Anhänge von drei Experten:
Hartmut Kreß: Suizid und Suizidbeihilfe in existenzieller, religiöser und kultureller Hinsicht.
Bettina Schöne-Seifert: Hilfe zum Suizid: Blicke auf die ethische Kontroverse.
Henning Rosenau: Der Suizid im Recht.
Ferdinand von Schirachs Theaterstück ist wieder einmal eine ganz hervorragende Auseinandersetzung mit einem immer wichtiger werdenden Thema in unserer Gesellschaft. Und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts Anfang dieses Jahres, das den Suizid und die Beihilfe zum Suizid liberalisiert hat, zeigt, wie dringlich eine rechtliche Klärung war. Dennoch betitelt Ferdinand von Schirach sein Theaterstück nicht Suizid, er nennt es Gott, was bereits ein Kontroverse an sich ist.
Großartige Literatur, wie wir sie von diesem außergewöhnlichen Autor gewohnt sind!
GOTT, Ferdinand von Schirach, Luchterhand, gebunden, Seiten 154, ISBN: 978-3-630-87629-0, Euro 18,00.