Sie sagt. Er sagt. Ferdinand von Schirach – Ein Theaterstück

»Verstehen Sie, meine Welt, mein Verständnis davon, wer ich bin, alles stimmt plötzlich nicht mehr.« Zitat der Nebenklägerin, dem Opfer.

Das neuste Buch von Ferdinand von Schirach erschien erst zwei Tage, nachdem das ZDF das Gerichtsdrama bereits gezeigt hatte. Als Bücherliebhaber bedaure ich das, aber es ist verzeihlich, denn es ist immerhin ein Theaterstück. So habe ich es gelesen und gesehen, was natürlich zusätzliche Impressionen hinterlässt. ›Sie sagt. Er sagte.‹, spielt in einem Gerichtssaal, der Ort an dem Herr von Schirach ein Experte ist. Eine Vergewaltigung wird verhandelt, die sich von der Faktenlage keineswegs klar deuten lässt, weder in die eine noch in die andere Richtung. Während die Verteidigung des mutmaßlichen Täters, das mutmaßliche Opfer als Lügnerin und rachsüchtige Ex-Geliebte darstellt, breitet das mutmaßliche Opfer die furchtbare Tat und damit ihre Seele vor den Richtern aus. Die Geschichte lebt, wie so oft bei Ferdinand von Schirach durch die Ambivalenz, die sie beim Leser und/oder Zuschauer hervorruft.

Es ist definitiv eine Lese- und eine Sehempfehlung meinerseits. Wobei Sie das Theaterstück vorher lesen sollten, bevor Sie den Fernsehfilm, der nebenbei erwähnt, mit erstklassigen Schauspielern besetzt ist, sehen. Wie immer geht Herr von Schirach ein gewaltiges Thema mit leisen und sehr klaren Tönen an, etwas worin er ebenso ein absoluter Experte ist!

Ferdinand von Schirach, 2022, Copyright www.peterrigaud.com

Autorenfoto: Copyright ® Peter Rigaud/Shotview

Der Spiegel nannte Ferdinand von Schirach einen »großartigen Erzähler«, die New York Times einen »außergewöhnlichen Stilisten«, der Independent verglich ihn mit Kafka und Kleist, der Daily Telegraph schrieb, er sei »eine der markantesten Stimmen der europäischen Literatur«. Seine Bücher wurden vielfach verfilmt und zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern. Sie erschienen in mehr als vierzig Ländern. Die Theaterstücke Terror und Gott zählen zu den erfolgreichsten Dramen unserer Zeit, und Essaybände wie Die Würde des Menschen ist antastbar sowie die Gespräche mit Alexander Kluge Die Herzlichkeit der Vernunft und Trotzdem standen monatelang auf den deutschen Bestsellerlisten. Ferdinand von Schirach wurde vielfach mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Er lebt in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm u.a. die Erzählsammlung Nachmittage sowie der Theatermonolog Regen.

Während des Prozesses steht man recht schnell, besonders als Frau, der Geschichte des Opfers nahe und bezieht Position. Vor allen Dingen, weil der Täter schweigt. Als der Mann am Ende jedoch sein Schweigen bricht, wird die Sache noch schwieriger zu beurteilen. Einen Urteilsspruch in solch einer Situation zu fällen, ist mehr als schwer, dennoch notwendig. Und wie im Plädoyer von Anwalt Biegler erläutert, bedeutet in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, nicht, dass dieser mutmaßliche Täter davonkommen wird.

Was mir in dem Buch als Erstes auffiel, war die Rollenbesetzung. Denn es spielen eine Richterin, eine Verteidigerin, eine Oberstaatsanwältin, eine Erste Kriminalhauptkommissarin, eine Rechtsmedizinerin und eine psychologische Sachverständige. Bis auf Biegler, zwei beisitzende Richter und dem Täter, sind es alles Frauen. Da dachte ich schon, wie klug von Herrn Schirach, um dem Thema, eine gewisse Schärfe, in Richtung ›Männer verurteilen Vergewaltigungsopfer schneller‹, zu nehmen. Im Fernsehfilm jedoch wurde es ein Oberstaatsanwalt, aber immerhin, es hatte keinen negativen Einfluss.

Was Biegler anging, war der Anwalt wieder die personifizierte Vernunft, der für Menschlichkeit gegenüber dem Opfer sorgte und bodenständigen Realismus einforderte, wenn die Verteidigerin mit rechtlichen Kniffen und Tricks auftrumpfte. Um es mit einem Wort zu sagen, er sorgte für gesunden Menschenverstand.

Die wohl wichtigste Rolle, was die Informationen zum Thema Vergewaltigung betrifft, nahm die psychologische Sachverständige ein. Denn sie räumte mit dem Mythos Vergewaltigung auf, der sich in vielen Köpfen festgesetzt hat. Machte verständlich, warum Menschen, oft auch Frauen, dem Opfer Schuld zuweisen. Sie sprach von Dunkelziffern, sexueller Gewalt, die selbst in Europa an der Tagesordnung sind und von Femizid.

Am Ende lässt Herr von Schirach dann auch den Täter zu Wort kommen. Für mich einer der stärksten Szenen ist die, in der das Opfer Frau Schlüter bei dem Monolog des Angeklagten aufsteht und wortlos den Saal verlässt.

Ja, und dann sind die Richter so weit, um sich zurückzuziehen und ein Urteil zu fällen. An dieser Stelle baut der Autor noch einmal eine Wendung ein, die unerwartet kommt, den Zuschauer jedoch ein wenig aus der Verantwortung des urteilen müssen, herausnimmt!

Sie sagt. Er sagte. Ein Theaterstück, Ferdinand von Schirach, btb, gebundenes Taschenbuch, Seiten 144, ISBN: 978-3-442-77466-1, Euro 13,00, erschienen am 28. Februar 2024. Das Gerichtsdrama ist in der ZDF Mediathek noch bis zum 15.02.2025 verfügbar.

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