Gastrezension: Dr. Ulrike Bolte
Fundiert, in gewohnter Manier, gelingt es Florian Illies mit dem „Zauber der Stille“ die Biographie Caspar David Friedrichs collagenartig mit zeitgenössischen Ereignissen oder Ausblicken in die Zukunft wie der Rezeptionsgeschichte zu verflechten. Thematisch gegliedert in die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft ( zu denen Illies möglicherweise durch die Pastellmalereifolge von der Malerin Rosalba Carriera angeregt wurde) erfahren wir im ersten Kapitel von den verheerenden Bränden zu Lebzeiten, die sein Werk dezimierten wie der Brand seines Geburtshauses in Greifswald, den späteren Verlusten zu Kriegszeiten wie in den Berliner Flaktürmen oder dem verheerenden Feuer, dem der Glaspalast in München zum Opfer fiel 1931 mit 110 Bildern der Romantik. Aus dieser Erfahrung heraus entwickelt Friedrich ein Feuerleitsystem als Brandschutz für Greifswald anhand der Kirchenglocken. Ein weiteres Element der Kulturgeschichte sind die schmalen Friedrichbändchen, die die deutschen Wehrmachtsoldaten in den Schützengräben über dem Herzen in den Brusttaschen tragen – doch das Buch kann sie ironischerweise nicht vor Kugeln und Granaten schützen.
Florian Illies studierte Kunstgeschichte in Bonn und Oxford. Sein erster Bestseller war „Generation Golf“, es folgten „1913“ und „Liebe in Zeiten des Hassens. Chronik eines Gefühls 1929 – 1939“. Er war Gründungsmitglied der Zeitschrift „Monopol“, Leiter des Auktionshauses Grisebach in Berlin, ist Mitherausgeber der „Zeit“ (u. a. bei dem Podcast „Augen zu“ mit Giovanni di Lorenzo) und Ausstellungskurator, zuletzt in Düsseldorf.
Illies schildert Friedrichs Angst vor der grellen Sonne Italiens – ihm selber behagten verdämmernde Himmel, Mondlicht, Nebelschwaden mehr, die seiner melancholischen Grundhaltung eher entsprachen. Doch sein Malerfreund Dahl zollt ihm dennoch Tribut, indem er Friedrich als Rückenfigur am Kraterrand des Vesuvs zur Nachtzeit darstellt. Friedrich kam nie über Rügen, Kopenhagen (zur Akademieausbildung), dem Harz, dem Riesengebirge, dem Elbsandsteingebirge hinaus. Wenn er die Alpen malte, griff er auf Vorlagen von Freunden zurück. Der Vulkanausbruch des Tambora vom April 1815 in Indonesien ist der Grund für die teilweisen grellbunten Lichtstreuungen in nie gesehenen Farben, wie sie auch Friedrich in seinen quergestreiften Landschaften aufs Bild bannte oder noch mehr William Turner. Lange bevorzugte Friedrich aber Zeichnungen, Sepia später Aquarelle – Ölstudien überließ er den französischen Malern in Rom. Als komisches Element berichtet Friedrich vom qualmenden Pfeifenrauch eines Freundes auf einem Hünengrab (einem bevorzugten Motiv), das vom Bürgermeister zur Errichtung eines Gewerbegebiets pulverisiert wird.
Das Element Wasser wird ins Bild gesetzt durch das späte Bild eines vom Eis zerdrückten Schiffes, „Gescheiterte Hoffnung“. Zu dem Motiv wurde Friedrich angeregt durch den meterhohen Eisgang der Elbe an der Augustusbrücke. Hinter dieser „Tragödie der Landschaft“ (David d’Angers) steht das traumatische Kindheitserlebnis Friedrichs, bei dem ihn sein jüngerer Bruder rettete, als er im Eis versank und dabei selbst ums Leben kam. Zeitlebens hat der Maler mit diesem Ereignis an schwerer Depression (damals „Melancholie“), auch mit Selbstmordabsichten zu kämpfen. Aber auch positive Erinnerungen bietet das Meer wie das Bild „Auf dem Segler“ mit seiner Hochzeitsreise, das der spätere Zar Nikolaus I. bei einem Atelierbesuch ausgewählt und gekauft hatte. Doch soll hoher Besuch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedrich kaum etwas verkaufte, völlig verarmt starb und 99 Jahre komplett vergessen wurde. Auch die angestrebte Berufung zur Professur für Landschaftsmalerei an der Dresdner Akademie erfüllte sich nicht.
1808 malt Friedrich sein „Kreuz im Gebirge“ oder nach seinem Aufhängungsort auch „Tetschener Altar“, eines seiner ersten Ölgemälde, das alle Besucher des Ateliers ergreift. Friedrich hat mit der Natur einen Altar gemalt mit einem geschnitzten Rahmen mit christlichen Symbolen wie dem Auge Gottes, Weinblättern und Weizenähren. Dies führt zu einem einschlägigen Kunstdiskurs: der Kunstkritiker von Ramdohr nennt es „Mystizismus“ und „eine Anmaßung, wenn sich die Landschaftsmalerei in die Kirchen schleichen und auf die Altäre kriechen will.“ Dieser Aufsatz dient als Ausgangspunkt für einen heftigen Streit zwischen Befürwortern und Gegnern über das „vielleicht revolutionärste Landschaftsbild der ganzen Romantik“. Angeprangert wird der Verstoß gegen formale Regeln der Malerei und die Ambivalenz der Kreuzesdarstellung als zentralem Gegenstand einer protestantischen Bildniskunst durch die Lichtinszenierung und gleichzeitig die Darstellung des Gekreuzigten als skulpturalem Bildwerk, das dennoch abgewandt vom Betrachter sei. Das Bild verstoße gegen die Regeln der Optik, verzichte auf die Erschließung des Raums durch die Staffelung von Bildgründen, verzichte auf atmosphärische Luftperspektive und zeige keinen klaren Betrachterstandpunkt auf einem platten Berggipfel (Grave). Zugleich liegt dem Bild zugrunde ein komplexes System von Symmetrien nach dem Goldenen Schnitt (Busch).
Friedrichs Leben spielt sich ab vor der Kulisse der deutschen Befreiungskriege gegen die französische Vorherrschaft Napoleons. Den Aufstand des Vaterlands thematisiert Friedrich in (germanischen) Hünengräbern oder Gräbern gefallener Freiheitshelden. Seine Figuren tragen häufig die altdeutsche Tracht, die nach den Karlsbader Beschlüssen in Deutschland verboten war wie in den „Zwei Männern in Betrachtung des Mondes“, das Goethe als „neudeutsch, religiös-patriotisch“ verspottete. Dies und das Germanische, Nordische wollte der Maler gegenüber dem französischen Eroberer verteidigen. So wundert es nicht, dass auch die Nazis versuchten, ihn zu vereinnahmen, besonders in den Bergfilmen von Leni Riefenstahl. Auch Disney platzierte seinen Film „Bambi“ in von Friedrich inspirierten Landschaften: so schuf sich jede Zeit ihr eigenes Friedrichbild.
Friedrich schuf hunderte von naturgetreuen Zeichnungen, die er im Atelier zu Ölgemälden zusammenfügte. Dabei bediente er sich innerer Visionen aus seiner Erinnerung, um seine Stadtsilhouetten und Landschaften zu schaffen, auch wenn er in ihnen niemals war. Immer wieder wird sein furioser Umgang mit der Farbe betont, so wenn der Kunsthistoriker Richard Hamann schreibt: „… ein intensiver Akkord von sattem Grün der Wiese und tiefem Lila mit einem zu diesen schweren Farben kontrastierenden Wolkenhimmel löst allen Raum und alle Form in Farbe auf:“
Da Friedrich seine Bilder nicht signierte, sind die Titel der Bilder von den Interpretatoren abhängig, so dass man nicht weiß, ob es Morgen oder Abend ist oder der Baum im Harz, der Sächsischen Schweiz oder dem Riesengebirge steht. Wie kontrovers Friedrich zu seiner Zeit gesehen wurde, aber auch seine Modernität zeigt nach Sulpiz Boisserée des Klassikers und Antiromantikers Goethe schon fast ironischer Ausbruch: „Die Bilder von Friedrich können ebenso auf dem Kopf gesehen werden … wie er sich ausgelassen mit Zerschlagen der Bilder an der Tischdecke … Zerschießen“.
Immer wieder kommt Friedrich auf sein akkumulierendes Strukturverfahren zurück, so beim „Watzmann“ (den er nur von Zeichnungen und Vorlagen seiner Freunde kannte), bei dem er im Vordergrund andere Bergrücken aus dem Harz und anderen Gebirgen hinzu fügte um die Stimmung zu steigern.
Seine berühmten Rückenfiguren, die nach Zeitgenossen der Tatsache geschuldet sind, dass Friedrich keine Menschen malen konnte, öffnen sich nach vorne der Weite der Landschafft, stehen aber manchmal gleichzeitig dem Betrachter im Weg, der somit mit den Augen der Figur sieht und dessen Leere des Raums hinter sich fühlt. Die Tatsache, dass Friedrichs Gemälde nicht entspiegelt sind, integriert den Betrachter in die Bilder, dessen Bedeutung so gesteigert wird. Im „Kreidefelsen auf Rügen“ wird durch die Tatsache, dass der Abgrund dem Betrachter als Dreieck entgegenkommt, dieser, umrahmt durch die hellen Kreidefelsen und die dunklen Bäume, mit einbezogen in die Gruppe der Rückenfiguren im Profil. Das einsame Schiff verlässt die bergenden Felsnadeln und schwimmt der Weite des quer gestreiften Meers entgegen, das hoch abstrakt und sehr modern wirkt wie beispielsweise auch das Gemälde „Mönch am Meer“ (1810).
Je länger sich man mit Friedrich befasst, desto mehr neue Aspekte treten auf und zeugen von seiner Faszination, die bis in die Gegenwart anhält und zahlreiche Künstler inspiriert hat wie die derzeit laufende Ausstellung zum 250. Geburtstag in der Hamburger Kunsthalle zeigt neben Ausstellungen u. a. in Dresden, Greifswald, Weimar, Berlin und New York. Das Buch von Illies bietet dazu einen guten, anregenden und kenntnisreichen Einstieg mit vielen Ideen und macht Lust auf viel mehr Friedrich. Unbedingt lesenswert und immer einen Museumsbesuch wert!
Florian Illies „Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten“, Fischer Verlag Frankfurt 2023, ISBN 978-3-10-397252-8, 25 Euro