Die zerrissenen Staaten von Amerika, Athur Landwehr, alte Mythen und neue Werte – ein Land kämpft um seine Identität

Arthur Landwehrs Buch lehrt einen das Gruseln. Denn es ist das erste Buch über die USA, das verständlich macht, warum 70 Millionen Amerikaner Trump gewählt haben und warum es gar nicht so illusorisch ist, dass Donald Trump im November wieder Präsident der zerrissenen Staaten von Amerika werden kann.

Sowohl aus seiner beruflichen Erfahrung, mehr als ein Jahrzehnt in den USA, als auch durch seine Beobachtungen und vor allem Gesprächen, mit Bürgern aller Schichten in Amerika, konnte er präzise und sehr nachvollziehbare Schlussfolgerungen über die Zukunft ziehen. Von der Costal Elite, wie die eher gebildeten Großstädter gerne genannt werden, über die evangelikale Mittelschicht zu den tief gläubigen Hillbillys, der dünn besiedelten ländlichen Gegenden kam jeder zu Wort. Vom hoch verschuldeten jugendlichen Universitätsabsolventen, über den hart arbeitenden, am Existenzminimum lebenden Farmer bis zum verarmten Rentner durfte sie ihre Lebenssituation darstellen. Und es ist egal, welche Ethnie, welche Hautfarbe oder welche Schicht der heutige Amerikaner einnimmt, die allgemeine Angst dominiert sie alle. Und diese Angst ist die treibende Kraft im Denken der Menschen.

Als der Autor am Ende den Bogen über den Atlantik nach Europa schlägt, wird einem schnell klar, dass wir Europäer bereits im gleichen Dilemma angekommen sind. Vor allem, wenn die nationale Rechte, die wie Meloni in Italien offen mit Trumps Politik hausieren geht und von Trumps Berater Steve Bannon sichtlich unterstützt wird, Wahlen gewinnt. Und selbst in Deutschland ist der enorme Zulauf der AfD nicht nur Ostdeutschland zuzuschreiben. Ein gleiches Gefälle wie in den USA zeichnet sich bereits vor unserer Haustür ab. Zukunftsängstliche Bürger fallen auf Demagogen à la Trump, die „unser Land wieder stark machen wollen“, rein. Dabei sind sie bereit, unsere Demokratie dem Totalitarismus preiszugeben.

Ein journalistisch erstklassig recherchiertes Buch, das die richtigen Fragen stellt und Schlussfolgerungen und Parallelen zieht, die nicht von der Hand zu weisen sind. Ein wichtiges Buch, das man lesen sollte, um die heutige Situation in den USA, aber auch Europa zu verstehen. Großartige journalistische Arbeit.

Autorenfoto: Copyright ® Frank Lange

Arthur Landwehr war von 1999 bis 2006 und von 2018 bis 2022 ARD-USA-Korrespondent in Washington, DC und hat von dort für alle ARD-Hörfunkprogramme berichtet. Von 2006 bis 2018 war er Hörfunk-Chefredakteur des Südwestrundfunks. Während seiner USA-Aufenthalte hat er die gesellschaftliche Entwicklung der USA in den Amtszeiten von Clinton, Bush, Obama, Trump und Biden intensiv journalistisch begleitet.

Trump ist wohl einer der umstrittensten Persönlichkeiten unserer Zeit. Viele Menschen auf unserem Teil des Atlantik konnten nicht nachvollziehen, wie bei der letzten Wahl immer noch siebzig Millionen Amerikaner den Mann wählen konnten, der, der Lüge, des Betrugs und der kriminellen Handlungen bezichtigt und zum Teil entlarvt wurde. Wie das Kapitol, ein Wahrzeichen der Demokratie in den USA, von Trumpanhängern gestürmt wurde. Aber in den USA geht gerade ein tiefer Riss durch die Nation, denn der große Kulturkampf spaltet die Amerikaner. So werden die kulturellen Ängste insbesondere der weißen Bevölkerung von der konservativen Politik instrumentalisiert. So wird gegen jede Art der Identitätspolitik Stellung genommen. In ihrem Status bedroht, durch unangemessene Gleichmacherei, Globalisierung, sexuelle Identitätsverschiebung, sogar neuem Sprachgebrauch und wirtschaftliche Repressalien fürchten sich die Bürger in ihrem Status bedroht.

Ob es die privaten Kriege eines DeSantis’ gegen den „woken Kapitalismus“ sind und die nichts anderes bedeuten, als den restriktiven Umgang mit Homosexualität, egal ob in Schulen, Schulbüchern oder am Arbeitsplatz. Oder ob es der Vorwurf gegen „Black Live Matters“ ist, dass sie eine intolerante und moralisierende Ideologie durchsetzen wollten, all diese politischen Schachzüge bewirken Ängste. Dadurch wird der Liberalismus im Sinne einer liberalen Demokratie nicht mehr als Errungenschaft erlebt, sondern als Bedrohung. So wollen momentan sowohl die Rechten als auch die Linken die liberale Doktrin mit Stumpf und Stiel ausrotten und durch ein anderes System ersetzen. Was dem einen eine Forderung nach massiver Umverteilung von Wohlstand und Macht ist, ist dem anderen Identitätspolitik und Wertevorstellungen in traditioneller Kultur und religiöser Tradition. Ein Dilemma!

Wirtschaftliche Sorge, durch mangelnde Krankenversicherungen im teuersten Gesundheitssystem der Welt, der Fakt, dass Schulen nicht staatlich unterstützt werden, sondern von der Immobiliensteuer seiner Gemeinde leben oder die horrenden Studiengebühren machen den einstigen amerikanischen Traum zum Albtraum. Dennoch scheitern Krankenversicherungsreformen immer wieder am Denken der Wähler. In ihren Werten ist die Unabhängigkeit vom Staat so verankert, dass eine staatliche Krankenversicherung als sozialistisch und unamerikanisch interpretiert wird. Selbst von Obamas Reformversuchen konnte nur Medicare Fuß fassen und die Situation von Rentner erleichtern. Und obwohl die Rentenreform in den USA dem deutschen System ähnlich ist, gilt es dort selbst mit vorzusorgen. Denn man traut dem Staat mit der Altersvorsorge nicht.

Migration ist ein weiteres Schlagwort und Stein des Anstoßes. Auch wenn wir Trumps Forderung nach dem Bau einer Mauer zur Grenze Mexikos mitleidig belächeln, für den Durchschnittsamerikaner ist es eine legitime Lösung, um den eigenen Status zu schützen. Die Angst der Weißen, White Anxiety ist ein geflügeltes Wort geworden.

Tribalismus, der Kulturkrieg der einzelnen Stämme hat sich in den USA auf ein Niveau hochgeschaukelt, dass nach dem Motto gehandhabt wird: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.“ Sprachloser Hass, Gut und Böse, falsch und wahr, dominieren die Vorwürfe, die leider schon länger keine Diskussion mehr kennen.

So beleuchtet Arthur Landwehr auch noch den Mythos Cowboy, die Liebe zu Waffen und auch den neuesten Hype, die Suche nach den Wurzeln durch DNA-Tests, bevor er mit all den Resultaten seiner Studie den Bogen nach Europa schlägt. Tja und dann erschlägt es den Leser. Denn wir sollten von unserem hohen Ross steigen. Wir sind in unserem Kulturkampf, der politischen Radikalisierung und der Demokratie- und Liberalismus-Verdrossenheit nur noch einen Wimpernschlag vom heutigen Amerika entfernt.

Ein Buch nicht nur für politisch interessierte Leser. Es ist ein Erklärungsversuch, um die zum Teil verdrossenen, verängstigten und kaum nachvollziehbaren Reaktionen der Bürger in Amerika und auch Europa zu verstehen.

Die zerrissenen Staaten von Amerika, Arthur Landwehr, Droemer Verlag, gebundene Ausgabe, Seiten 288, ISBN 978-3-426-27902-1, Euro 24,00 Euro, erschienen 12.1. 2024

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