Camus muss sterben, Giovanno Catelli

Ein Buch, das von sich selbst behauptet: »Eine hochspannende Mischung aus Investigativ-Roman und Spionagethriller zu sein, glänzend recherchiert und packend erzählt.«

Definitiv ist es aufregend erzählt. Anfänglich mit ein paar schleppenden Hintergrundinformationen nimmt es rasant zu und man kann es bis zur letzten Seite nicht mehr aus der Hand legen. Es erinnert an einen Spionagethriller. Vor allem weil der Autor den möglichen Schlussfolgerungen, die ihn zu der Theorie führen, dass Camus ermordet wurde, einen stetigen ›wahren‹ Anstrich verleiht.

Das passiert durch die glänzend recherchierte Geschichte über de Gaulle, die Infiltration des französischen Geheimdienstes durch den KGB, mit Pasternaks Verfolgung und natürlich durch die vielen bewundernswerten Artikel und Schriften Albert Camus’. Aber die wohl wichtigsten Seiten, die einen schlussendlich überzeugen könnten, dass man Camus durch die Geheimdienste ermorden ließ, befinden sich auf den letzten zwölf Seiten. Sie geben kursiv gedruckt ein Statement wieder, von jemand, den man als schillernde Person bezeichnen kann, Jaques Vergès. Sie sind so überzeugend, dass ich nach dem ersten Lesen dachte, warum nicht so etwas am Anfang steht, das würde jeden Leser in den Bann schlagen. Nur wenn man ein wenig von Jaques Vergès weiß, dem Mann, der seine Autobiografie, ›Ich der brillante Drecksack‹ nannte, wäre an der Stelle definitiv mehr Erklärung zu seiner Vita von Nöten gewesen.

Mein Résümé: Es ist ohne Zweifel ein sehr, sehr spannendes Buch. Für Camus Liebhaber und auch die, die Albert Camus nicht so gut kennen. Es ist ein nachdenklicher Abriss über die Nachkriegsgeschichte, den Kalten Krieg und dessen perfide Machenschaften. Und damit ist es wichtig, um sich Geschichte vor Augen zu halten. Gerade in der heutigen Zeit. Aber ob das Buch den Anspruch erheben kann, den Tod von Albert Camus entschlüsselt zu haben, ist dahingestellt. Aber das weiß der Autor, denn sein Aufruf am Ende des Buchs vielleicht den Funken auszulösen, der der Wahrheit näherkommt, sagt es deutlich. Ob Jaques Vergès den Funken beigetragen hat, kann ich nicht beurteilen, aber es ist noch nicht aller Tage Abend.

Autorenfoto: Copyright ® Privat

Giovanni Catelli ist italienischer Schriftsteller, Dichter und Experte für die Kultur und Geopolitik Osteuropas. Seine Erzählungen sind in renommierten Zeitungen und Zeitschriften erschienen, u.a. Corriere della Sera, Nouvelle Revue Française, Nazione Indiana, L’Indice dei Libri del Mese. Catelli hat zehn Bücher veröffentlicht, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden, und ist Korrespondent des East Journal für den ehemaligen sowjetischen Raum. Seit mehr als zwanzig Jahren verfolgt er die literarischen, historischen und politischen Ereignisse in Osteuropa und reiste als Korrespondent in die Länder des ehemaligen Sowjetblocks.

Paul Auster, der ähnlich Camus nie ein Blatt vor den Mund nimmt und diesem vor zehn Jahren auch noch erstaunlich ähnlich sah, hat ein kleines Vorwort für das Buch geschrieben. Er schreibt darin überzeugt, dass er den Belegen die Giovanni Catelli in dem Buch folgend, einem Mord an Camus zustimmen könne. Er redet von Meuchelmord und das man Camus zum Schweigen brachte.

Ob man dieser Theorie folgt oder nicht, ist das Buch auf jeden Fall eine interessante Beleuchtung von Geschichte. Von Intrigen, übelster Spionage und vor allem der Willkürmacht, die in der damaligen UDSSR hinter dem Eisernen Vorhang noch Stalins Handschrift trug. Es spricht über die korrupten Taten der Geheimdienste auf der ganzen Welt. Es bringt die blutig niedergeschlagene Revolution Ungarns und der damaligen CSSR wieder ins Gedächtnis. Die stetige Angst der Polen und die Klaue, die über den Satellitenstaaten der UDSSR herrschte. Aber es zeugt auch von Giovanni Catallis uneingeschränkte Bewunderung für den großen unabhängigen Intellektuellen Albert Camus. Über dessen selbstlose und mutige Angriffe auf Chruschtschow bezüglich der Ungarnfrage und für die Anerkennung von Pasternaks Buch, Doktor Schiwago. Über den Kampf, den Camus geführt hat, den Literaturnobelpreis für Pasternak zu unterstützen. Es ist großartig zu lesen und öffnet einen Blick auf die Zeit, die gerade heutzutage leider wieder als die guten Wirtschaftswunderjahre verklärt wird.

Die letzten zwölf Seiten, die eine mündlich überlieferte Version der damaligen Ereignisse wiedergeben und wohl die gefühlt wichtigste Quelle von Catellis Vermutungen ist, kommt ausgerechnet von Jaques Vergès. Eine sehr umstrittene Person in der jüngeren Geschichte, von der Catelli nur einen Hauch seines Werdegangs vorausstellt, bevor er ihn durch einen Mittelsmann zu Wort kommen lässt. Hier hätte ich mir ein bisschen mehr Werdegang gewünscht, bevor er wie in dem Buch als selbstloser, mutiger Verteidiger und Aktivist beschrieben wird. Aber auch hier muss man zugutehalten, das Catelli von dem Vergès der Sechziger redet und nicht von dem Mann danach.

Sollte man dieses Buch umstritten nennen, sollte man es als Augenöffner bezeichnen? Eigentlich ist das nicht so wichtig, denn es ist ein spannendes Zeugnis einer nicht so lange vergangenen Zeit, definitiv eine Liebesbekundung an Camus und als solches ist es spannend zu lesen!

Camus muss sterben, Giovanni Catelli, Emons Verlag, Klappenbroschur, Seiten 160, ISBN: 978-3-7408-1985-9, Euro 13,00, erschienen 19.Oktober 2023.

 

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