Tove Alsterdal bekannt durch ihre Trilogie um die Kriminalromane der Ermittlerin Eira Sjödin legt den ersten Standalone in Deutschland nach. Der Roman aus dem Jahr 2019 ist sehr wahrscheinlich vor ihrem Durchbruch mit der Trilogie entstanden. Es nennt sich zwar ein Kriminalroman, doch ist eher eine Erzählung, die sich im Heute abspielt und auf Verbrechen der Vergangenheit zurückblickt. Verbrechen, die begangen wurden von den Nazis an den damaligen Sudetendeutschen jüdischer Abstammung. Wer von den Opfern nach Kriegsende die Deportation überlebte und nicht schnell genug aussiedeln konnte, wurde anschließend wieder zum Opfer, weil er als Deutscher angesehen wurde und dieses Mal als Kriegsverbrecher bestraft wurde. Im Grunde genommen ist es die Erzählung einer Ungerechtigkeit, die einem die Haare zu Berge stehen lässt, die jedoch erst einmal ganz harmlos anfängt: Mit dem Kauf eines Weingutes in Tschechien.
Tove Alsterdal ist eine brillante Erzählerin, das merkt man schon an diesem Buch und sie hat sich in ihrer Trilogie um Eira Sjödin noch gesteigert. Ihr starkes Auge für zwischenmenschliche Beziehungen tragen ihre Kriminalfälle.
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Tove Alsterdal, 1960 in Malmö geboren, zählt zu den renommiertesten schwedischen Spannungsautor:innen, ihre Romane erscheinen in 25 Ländern und wurden vielfach ausgezeichnet. Mit der Trilogie um Ermittlerin Eira Sjödin gelang ihr in Schweden ein Sensationserfolg, für «Sturmrot» erhielt sie den Schwedischen Krimipreis 2020 und den Skandinavischen Krimipreis 2021, ebenso wie «Erdschwarz» stand der Roman wochenlang auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste. Auch in Deutschland stiegen die Romane sofort in die Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Die Filmrechte sicherte sich eine Hollywood-Produktionsfirma.
Die Kinder sind aus dem Haus, Daniel verliert unverschuldet seinen geliebten Job und in ihrer Ehe kriselt es. Daher versucht das schwedische Ehepaar einen Neuanfang. Sie wagen volles Risiko, verkaufen ihr Haus und erwerben ein Weingut in Tschechien, das fast achtzig Jahre brachlag. Es ist marode und viel muss gemacht werden, doch sie gehen die Renovierung Schritt für Schritt an. Als Daniel einen zugemauerten Zugang im Keller aufstemmt, findet er einen ehemaligen Weinkeller, aber auch die mumifizierte Leiche eines Kindes mit weißer Armbinde. Sprachschwierigkeiten macht die die Zusammenarbeit mit der Polizei schwierig, was Sonja erbost, denn es ist immerhin ein Kind, das dort unten vor langer Zeit starb. Nur scheint das niemanden wirklich zu interessieren. Erst durch eine englische Anwältin, die sie im Wirtshaus des Ortes kennenlernt, erfährt sie von der Geschichte des Dorfes. Darüber, was mit den Bewohnern passierte, als die Nazis einmarschierten, den Deportationen, der Angst um ihr Hab und Gut und schließlich um ihr Leben. Sonja glaubt eine Freundin gefunden zu haben, die ihr und Daniel sogar helfen kann mit den Dokumenten des Weingutes. Nur endet die Freundschaft abrupt, als Annas Leiche vor ihrem Gut gefunden wird. Alle Indizien weisen auf Daniel, der verhaftet wird.
Für Sonja beginnt ein Albtraum in einem fremden Land, mit einer Sprache die sie nicht spricht. Die Polizei kann oder will nich kooperieren, so muss sie ihre eigenen Schlüsse ziehen. Denn die Schwedin ahnt, dass der Mord an Anna mit der Vergangenheit zu tun hat. So begibt sie sich auf die Suche nach Überlebenden, den ehemaligen Besitzer ihres Weinguts und ihrer Geschichte.
Eine sehr bewegende Geschichte der Sudetendeutschen, den berechtigten Hass auf die Deutschen nach Kriegsende und dem Irrsinn, in jedem von ihnen einen Feind zu sehen. Obwohl die überlebenden jüdisch Deutschen unter Hitler selbst nur Opfer waren, werden sie es nach Kriegsende ein zweites Mal. Vor allem geht es aber um die nicht reflektierten Ungerechtigkeiten, die in blindwütigen Zorn mit Mord und Totschlag enden, wenn Kriegs- und Besetzungsrache sich ihren Lauf bahnen.
Knallharte Kost, die von Tove Alsterdal fantastisch in diesem Roman verpackt wurde.
Blinde Tunnel, Tove Alsterdal, Kindler Verlag, gebundene Ausgabe, Seiten 352, ISBN: 978-3-463-0050-3, Euro 22,00, erschienen 12.09.2023. Übersetzt von: Hanna Granz.