Antje Rávik Strubel: Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss

Die in den Jahren 2003 bis 2021 entstandenen Essays von Antje Rávik Strubel, die zum Teil an anderer Stelle publiziert wurden, sind ein Festmahl für alle Freunde der Sprache. Präzise, poetisch, aufklärerisch formuliert, persönlich, wenn nötig, den Finger in die Wunde legend, wie in »Scham« oder kämpferisch, wenn Strubel über Ungerechtigkeiten schreibt: „Von diesem Unterschied leitet sich nicht nur die Bewertung von Inhalt und Ästhetik ab, sondern auch die Entlohnung (laut einer Studie der Künstlersozialkasse von 2017 verdienen männliche Schriftsteller im Durchschnitt doppelt so viel wie ich – unabhängig davon, ob sie Schrott oder hot schreiben). Vom ‚Fräuleinwunder‘ werden Sie gehört haben; von einem ‚Buben- oder Knabenwunder‘ sicherlich nicht.“. Und obwohl es runtergeht wie Öl, ist die Kost nicht leicht verdaulich. Die Essays wie »Die große Elchwanderung« hallen lange nach. Denn den Essays liegen eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe der Autorin zugrunde, die Fähigkeit sie zu reflektieren und das Resultat in Worte zu fassen. Und wenn die Autorin darüber sinniert, dass ein Kuss mit „ß“ schöner ist, fühle ich mich an die glorreiche Zeit der Kabarettist*innen erinnert, die, wie die Autorin politisch positioniert, scharfzüngig, pointiert und mit Witz und Humor zu allem und jedem etwas zu sagen hatten. Weil: »Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss«.

Foto: Philipp von der Heydt

Antje Rávik Strubel veröffentlichte u.a. die Romane »Unter Schnee« (2001), »Fremd Gehen. Ein Nachtstück« (2002), »Tupolew 134« (2004) sowie den Episodenroman »In den Wäldern des menschlichen Herzens« (2016). Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, ihr Roman »Kältere Schichten der Luft« (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Rheingau-Literatur-Preis sowie dem Hermann-Hesse-Preis ausgezeichnet, der Roman »Sturz der Tage in die Nacht« (2011) stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Antje Rávik Strubel wurde mit einem Stipendium in die Villa Aurora in Los Angeles eingeladen sowie als Writer in residence 2012 an das Helsinki Collegium for Advanced Studies. 2019 erhielt sie den Preis der Literaturhäuser. Ihr Roman »Blaue Frau« wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet. Im Juli 2022 erschien der Essay-Band »Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss«. Sie übersetzt aus dem Englischen und Schwedischen u.a. Joan Didion, Lena Andersson, Lucia Berlin und Virginia Woolf.  Antje Rávik Strubel lebt in Potsdam. (www.antjestrubel.de)

Pointiert nimmt Antje Rávik Strubel die aktuelle gesellschaftliche Lage unter die Lupe. Mit engagierter und zugleich poetischer Stimme widerspricht sie dem Gezerre und Gezeter. Sie plädiert für einen spielerischen, abenteuerlichen, wagemutigen Umgang mit Sprache, für ein emphatisches und aufmerksames Miteinander und eine Vielfalt der Lebens- und Liebesweisen. Sie erzählt von Virginia Woolf und Selma Lagerlöf, von dem Griff nach den Sternen und dem Aufbruch ins Unbekannte. Diese kritischen, literarischen und persönlichen Reden und Essays spannen den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts zum Beginn des 21. Jahrhunderts und blättern mit dem nötigen feministischen Hintersinn andere Seiten der gesellschaftlichen Landkarte auf.

S. Fischer Verlag – gebunden – 192 Seiten – 24 € – ISBN 978-3-10-397170-5