Christine Wolter: Die Alleinseglerin

Zum 40. Jahrestag der Erstveröffentlichung hat der Ecco Verlag die Geschichte der Alleinseglerin neu aufgelegt. Für mich eine Entdeckung, die in all den Jahren nichts an Aktualität eingebüßt hat, sprachlich begeistert und überraschend modern ist. Als der Roman von Christine Wolters 1982 beim Aufbau Verlag, Ost-Berlin, veröffentlicht wurde, kam dem Buch und der Autorin nicht die Aufmerksamkeit zu, die beide verdient hätten. Selbst die Verfilmung der Romanvorlage durch die DEFA einige Jahre später änderte nichts daran. Aber die Autorin hatte etwas geschafft, was dem System unheimlich sein musste: sie hatte sich eine legale Umsiedlung nach Mailand erkämpft, um den Mann, den sie liebte, zu heiraten. Sie behielt ihren Pass, konnte in die DDR reisen und nach wie vor beim Aufbau Verlag veröffentlichen. Allerdings um den  Preis, dass sie nie zur ersten Garde der DDR-Autorinnen zählte.  »Die Alleinseglerin« schrieb Wolter in Mailand und trägt autobiografische Züge. Es ist ebenso ein sehnsuchtsgetränkter Blick zurück wie Aufarbeitung und die Annäherung an ihren Vater, den sie das erste Mal durch die Scheidung der Eltern und dann endgültig durch dessen Tod verlor. Almut die Protagonistin, Studentin, sieht ihren Vater durchaus kritisch. Sie bewunderte ihn für seinen Geschmack und verachtete ihn für seine Privilegien – Auto, Waldstück, Seeufer, Terrasse, Haus, Boot – die nicht zu seinen Reden von der neuen Gesellschaft passten. Das Boot, das sie nach dem Tod des Vaters übernimmt, bringt sie physisch und finanziell an ihre Grenzen. Hinzu gilt es sich gegen die männlichen Bootsbesitzer am See durchzusetzen, von denen alles andere als Unterstützung zu erwarten ist. Nicht zu vergessen, dass die Geschichte in der DDR der 70er Jahre angesiedelt ist. Spezialfarben, Segel, Hölzer etc. sind nur schwer bzw. mit Beziehungen zu bekommen. Und so wird dieses besondere Boot zum Synonym für Almuts Emanzipation, Selbstbestimmung und Weg in die Freiheit.

Foto: privat

Christine Wolter wurde 1939 in Königsberg/Kaliningrad geboren. Nach der Flucht aus Ostpreußen 1944 kam ihre Familie 1950 nach Ostberlin. Sie studierte Romanistik, war Lektorin im Aufbau-Verlag und ist freiberufliche Übersetzerin, Herausgeberin und Schriftstellerin. Christine Wolter schreibt Erzählungen, Romane und Lyrik, darunter den Bestsellerroman Die Alleinseglerin, der 1982 erschien und von der DEFA verfilmt wurde. 1978 zog sie nach Italien und lebt heute bei Mailand und in Berlin.

Almut, eine alleinerziehende Literaturwissenschaftlerin, übernimmt von ihrem Vater ein Segelboot, einen Drachen – wunderschön, doch viel zu groß und viel zu kostspielig für sie. Bald verschlingt der Drache all ihre Zeit und ihr Geld. Sie verbringt die Wochenenden nur noch am See, mit der Instandhaltung und Renovierung beschäftigt, oder läuft auf der Suche nach Lack, Sandpapier, Planstoff durch ganz Ostberlin. Die anderen Bootsbesitzer, alles Männer, belächeln sie – so ein Boot sei nichts für eine einzelne Person, schon gar nicht für eine Frau. Mehrfach versucht sie den Drachen zu verkaufen, aber dann kann sie sich doch nicht von ihm trennen. Denn mit ihm entdeckt sie eine Freiheit, die sie weder in ihrem Land noch in einer Beziehung je finden konnte.

Ecco Verlag – gebunden – 208 Seiten – 22 € – ISBN 978-3-7530-0073-2