Franzpeter Messmer hat sich dafür entschieden, seinen Protagonisten Mehmet Aziz, einen jungen Syrer, erzählen zu lassen. Letztendlich ist es seine, Mehmets, Geschichte. Wer könnte sie besser erzählen, als Mehmet. Und mit einem Mal hat ein syrischer Flüchtling, der die Reise über das Mittelmeer auf sich genommen hat, um den Islamistischen Kämpfern zu entkommen, die sein Klavier zertrümmerten und seinen kleinen linken Finger abschnitten, einen Namen. Er nimmt den Leser mit auf eine Reise weg von seinen Wurzeln, über das vermeintlich gelobte Land: Deutschland, dem Land der Dichter, Denker und große Komponisten, zurück zu sich selbst und seinen Wurzeln nach Damaskus. Dazwischen liegen eine lebensgefährliche Flucht im Schlauchboot über das Mittelmeer, entwürdigende Aufenthalte in Flüchtlingsunterkünften, die Erkenntnis, „dass in dem Land, in dem Mozart gelebt hatte, ein Klavierspieler willkommen sei“ nicht unbedingt zutrifft. Wir verstehen seine Zerrissenheit, wenn er sich den Anzug, den sein Münchner Musikprofessor ihm spendierte, anzieht, das Flüchtlingswohnheim verlässt und zu einer Abendveranstaltung geht. Und immer wieder kommt in Stresssituationen das traumabedingte Tourettesyndrom durch. Dass er zu seinem afghanischen Freund Ahmet, der ihm zweimal das Leben rettete, steht, bezahlt er mit einer Gefängnisstrafe und anschließender Abschiebung. Immerhin hat er seine Schwester wiedergefunden, die Damaskus fluchtartig verlassen hatte, nachdem eine Fatwa gegen sie ausgesprochen worden war. Zurück bei seinen Wurzeln widmet er sich wieder den traditionellen Instrumenten und unterrichtet Kinder aus der Nachbarschaft. Gleichwohl er in seinem jungen Leben viel Gewalt, Brutalität, Leid und Verluste erlitten hat, erzählt er sein Leben mit einer deutlichen Distanz und einer gewissen Abgeklärtheit. Die fundierten, vielfältigen Kenntnisse und Erfahrungen in der Musikwelt, über die der Autor verfügt, runden Mehmets Geschichte zu einem spannenden, interessanten und vor allem glaubwürdigen Ganzen ab.
Franzpeter Messmer ist Autor, Musikwissenschaftler und Festivalleiter. Er schrieb u.a. die Romane „Der Venusmann“ und „Das Traumelixier“, Biografien über Orlando di Lasso, Georg Friedrich Händel und Richard Strauss. Er war Künstlerischer Leiter der Landshuter Hofmusiktrage, Europäisches Festival Alter Musik (1990-2022) und konzipierte und koordinierte die Gedenkjahre zu Richard Strauss (1999, 2014), Werner Egk (2001) und Karl Amadeus Hartmann (2005) in Bayern. Er lebt mit seiner Frau, der Handbuchbinderin Ruth Messmer im oberschwäbischen Daugendorf und in München.
Der junge Syrer Mehmet lernt gegen den Willen seines Vaters Klavier, ist hoch begabt und studiert am Konservatorium in Damaskus. Bei einem seiner Lehrer lernt er nicht nur die deutsche Kultur kennen, sondern auch die Sprache. Seine Schwester Amal wurde als orientalische Tänzerin ausgebildet und zu einer Berühmtheit, bis gegen sie die Fatwa verhängt wird. Sie flieht nach London. Mehmet leidet fortan unter Tourette. Während des arabischen Frühlings spielt er bei Demonstrationen Musik von Beethoven. Sein Stadtviertel wird von islamistischen Kämpfern besetzt und sein Klavier zertrümmert. Zusammen mit seinem afghanischen Freund Ahmet flieht er nach Deutschland. Dort entdeckt man ihn als Pianisten und macht ihn zum Jungstar. Sein Freund Ahmet hingegen wird lange in einem ungarischen Lager festgehalten…
Edition Moosdiele – Taschenbuch – 288 Seiten – €14,80 – ISBN 978-3-9824392-0-4
Das Interview führte Angela perez – Redaktion Eschborner Stadtmagazin
Fünf Fragen an den Autor, Heute: Franzpeter Messmer und sein neuester Roman Tanz auf der Brücke
Lieber Herr Dr. Messmer,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem aktuellen Roman. Leser:innen sind neugierige, wissbegierige Menschen und deshalb würde es mich sehr freuen, wenn Sie Antworten auf meine Fragen haben.
Sie haben an die 30 Bücher veröffentlicht und bis auf einen Werkkatalog, Kunst in Email, lag bislang Ihr Schwerpunkt auf biografische Geschichten über historische Personen aus der Musikwelt. Tanz auf der Brücke spielt im hier und jetzt. Gibt es eine reale Person, die Ihrer Romanfigur Mehmet Aziz zugrunde liegt?
Nein, Mehmet Aziz ist wie alle anderen Figuren des Romans erfunden. In einigen Teilaspekten allerdings hat der Pianist Mehmet reale Vorbilder: Wenn er z. B. über Mozarts „Alla Turca“ aus der A-Dur-Sonate improvisiert, ist Fazil Say sein Vorbild. Dass in Damaskus von den islamistischen Rebellen sein Klavier zertrümmert wird, hat sein Vorbild in dem syrischen Pianisten Aeham Ahmad, dem dasselbe passiert ist. Doch der Roman entwickelt sich zu einem Thriller, in den Mehmet als V-Mann des Verfassungsschutzes verwickelt wird. Das ist Fiktion.
Die Frage, ob diese Person alias Mehmet mit dem Ergebnis zufrieden ist, hat Sie – so könnte ich es mir vorstellen – die ganze Zeit, in der Sie an der Geschichte gearbeitet haben, begleitet. Haben Sie eine Antwort erhalten?
Mein Roman, der – wie gesagt – kein biografischer Roman ist, ist zu weit von der Persönlichkeit Aeham Ahmads entfernt, als dass sich diese Frage stellen würde.
Kennen Sie die Angst vor der ersten Seite?
Angst würde ich es nicht nennen, aber großen Respekt. Die erste Seite sollte den Leser neugierig machen, ihn ins Buch hineinziehen, im Kern schon die Geschichte enthalten und bereits auch den Sprachstil intonieren. Eine erste Seite, die mich zufrieden stellt, gelingt selten, wenn ich mit dem Schreiben eines neuen Buches beginne. Oft überzeugt sie mich erst nach der Fertigstellung der zweiten oder dritten Fassung – und dann ist sie die zuletzt geschriebene Seite.
Eine Geschichte begleitet den Autor über eine gewisse Zeit: Idee, Recherche, Schreiben, Veröffentlichung, Bewerbung, Lesungen… Haben Sie ein Ritual diese Phase abzuschließen, sozusagen das Buch ins Regal zu stellen?
Während des Schreibens bis zur Veröffentlichung ist eine intensive und vor allem auch kritische Beschäftigung gefordert. In dieser Zeit lese ich den Text viele Male. Danach beginnt das Loslassen, am besten, indem ich ein neues Projekt anfange. Aber ein Ritual habe ich nicht. Es ist ein fließender Prozess. Auch wenn das Buch im Regal steht, ist es noch gegenwärtig und wartet, dass ich es wieder einmal herausnehme, und mit größerer zeitlicher Distanz, also nach vielen Jahren, lese ich es wie das eines anderen Autors.
Nach dem Buch ist vor dem Buch. Gibt es bereits Ideen für eine neue Geschichte?
Als nächstes folgt der Roman „Maria Antonia und ihre Liebhaber“. „Maria Antonia“ heißen Stradivaris viel jüngere Frau, die ein Liebesverhältnis mit dem jungen Guarneri del Gesù hat, und eine Violine, die es als Original von Stradivari und als Kopie von Guarneri gibt. Erst nach dem II. Weltkrieg wird dieses Rätsel gelöst. Davor hat eine weitere Fälschung der „Maria-Antonia“-Violine das Leben einer jüdischen Familie gerettet.
Vielen Dank!