Braine, Aliki, Chilvers, Ian, Gwynne, Paul et al.: „Die Geschichte der Malerei. Entwicklungen, Techniken und Motive in der Kunst“

Gastrezension: Dr. Ulrike Bolte

Das schön gestaltete Buch von einem Autorenkollektiv von Kunsthistorikern – sogar auf dem Cover kann man den Pinselduktus van Goghs haptisch erfassen – führt fulminant durch die Kunstgeschichte. Angefangen mit den steinzeitlichen Höhlenmalereien von vor 40000 Jahren, die wahrscheinlich dem Jagdzauber oder schamanischen Praktiken dienten, geht die Reise zu den ägyptischen Grabanlagen, die ganz mit Malereien und Hieroglyphen zum Geleit der Seele im Jenseits bedeckt waren und weiter zur eingeritzten, silhouetteartigen, schwarzfigurigen und aufgemalten naturalistischeren, rotfigurigen Vasenmalerei der Griechen. Daneben werden die verschiedenen Anwendungsgebiete in der Geschichte einer Farbe wie z. B. rot thematisiert als roter Ocker, Mennige, Zinnober, Karmin aus Cochenilleläusen, Krapplack oder Kadmiumrot.

Ein Abstecher behandelt die lebensnahen, perfekt konservierten Mumienporträts mit den weit geöffneten Augen aus der ägyptischen Oase El Fayum, die für Begräbnisrituale genutzt wurden, häufig in der Wachsfarbentechnik Enkaustik. Bereits bei den Griechen existierten besonders in der Skulptur die beiden Themen Illusion und Realität, die sich in zeitgenössischen Künstlerviten niederschlugen wie dem Wettstreit zwischen den Malern Parrhasius und Zeuxis um eine möglichst große Wirklichkeit ihrer Kunst. Im durch einen Vulkanausbruch 79 n. Chr. zerstörten Pompeji finden sich die frühesten (bekannten) Experimente mit Illusionismus als Versuch, Menschen, Tiere, Objekte, Pflanzen und räumliche Tiefe naturgetreu darzustellen. Die byzantinischen Ikonen und ihre Bildhaftigkeit des Heiligen bestimmten auch durch Bilderstreits jahrhundertelang den Diskurs zwischen West- und Ostrom unter Ausschluss der künstlerischen Individualität. Der byzantinische Goldgrund wurde in die italienische Kunst Berlinghieros und Simone Martinis transferiert und hatte bereits in der Buchmalerei Verwendung gefunden. Das häufig punzierte Gold dieses Hintergrunds wurde dann in der nie zuvor so realistischen Freskomalerei hinsichtlich Gestik, Mimik, Plastizität und räumlicher Tiefe von Giotto in Blau verwandelt. In der Malerei war Blau als Halbedelstein Lapislazuli genauso teuer wie Gold (und deswegen nur für die wichtigsten Heiligen verwandt wurde), da es aus einer Mine in Afghanistan stammte ( das „Ultramarin“,“ jenseits des Meeres“) und über die Seidenstraße nach Venedig kam.

Im 2. Kapitel geht es um die Renaissance: die Anverwandlung des antiken Erbes, die Zeichnung („disegno“) als Ideenfindung und spontaner Ausdruck der künstlerischen Kreativität auf dem Papier, das Auftragen der Zeichnung in die Freskomalerei mittels Kohle auf gepunkteten Linien („sinopia“) al fresco auf dem frischen Putz, die zusammen trockneten und nicht mehr korrigiert werden konnten. Der Maler musste Partie nach Partie schnell arbeiten, wobei die „Tagwerke“ („giornate“) noch heute sichtbar sind. Erfindungen, die diese Zeit prägten, waren die Entdeckung der Zentralperspektive auf der Grundlage mathematischer Berechnungen (Masaccio, Uccello, Piero della Francesca, Brunelleschi, Alberti) sowie der Luftperspektive („je weiter entfernt, desto blauer“) und im Norden van Eycks weniger opake Ölmalerei mit ihren übereinander gelegten Lasuren und subtilen Abstufungen, die einen größeren Naturalismus wie den Schlagschatten ermöglichten. Die Zeichnungen von Leonardo da Vinci, meist in Kohle oder Kreide, umfassen Anatomie, Akt- und Proportionsstudien als Abbild des Kosmos, Landschaften, Städtebau, Hydraulik, Kriegsmaschinerie u.a.. Mit seinen Naturbeobachtungen, Landschaften, botanischen Studien, Tierzeichnungen und Proportionsstudien stand Albrecht Dürer dem Italiener in nichts nach. Die Erforschung des Menschen als dem Maß aller Dinge und der Natur auf der Leinwand, die man anders als die Holzbildträger zusammenrollen und besser transportieren konnte, waren wichtige Errungenschaften ebenso die weltliche Malerei wie die „cassoni da nozze“ (dekorative Hochzeitstruhen). Maler konnten in der Handelsstadt Venedig ihre Pigmente wie das sogenannte Tizianrot bei spezialisierten Händlern erwerben, waren nicht mehr von den Apothekern abhängig. Nach der Renaissance mit dem Künstlergeniedreigestirn Leonardo, Raffael, Michelangelo stellte sich für die jüngeren Generationen die Frage, wie diese zu übertreffen seien. Sie bevorzugten elegant gedrehte oder grotesk verzerrte Formen („figura serpentinata“) und kontrastierende Farben im Manierismus (Pontormo, Parmigianino).

Im 3. Kapitel prägten die Kunstakademien und ihre Ausbildungskonzepte im 17. und 18. Jahrhundert die Entwicklung, besonders in ihrem Disput über die Vorherrschaft von Zeichnung (Caracci) oder Farbe (der zeitgenössische Realismus und die kontrastraststarke Licht-Schattenmalerei des „chiaroscuro“ von Caravaggio). Führender Maler der idealen Landschaft war Claude Lorrain mit den Baumgruppen, antiken Ruinen, Nymphen und Hirten, wofür er eine große Anzahl von Skizzen nach der Natur anfertigte im sensiblen Umgang mit dem Licht. Bücher wie Ripas „Iconologia“ mit allegorischen Figuren oder Le Bruns Wörterbuch der „Seelenmalerei“ mit verschiedenen Gesichtsausdrücken boten den Schülern Anweisungen. Poussins Kunst ist von den klaren Kompositionsschemata der antiken römischen Skulpturen geprägt. Auf einer Miniaturbühne schob er Wachsfiguren herum und erprobte so Gestaltung und Lichtführung, nackte Figuren bekleidete er mit feuchten Stoffen, um den Faltenfall zu studieren.  Seine Anhänger waren die Repräsentanten der Zeichnung, diejenigen von Rubens die der Farbe an der französischen Akademie. Deren Direktor Le Brun stellte sich entschieden auf die Seite Poussins, da die Zeichnung den Intellekt befriedige, die Farbe nur das Auge. De Piles war Rubens engagiertester Verteidiger: es war vor allem dessen Inkarnat des weiblichen nackten Körpers und die leuchtende Geschmeidigkeit der Haut auf heller Grundierung, die er nachfolgenden Generationen vermittelte. Rembrandt hingegen widmete sich u.a. zeit seines Lebens seinen Selbstbildnissen (in 40 Gemälden und 30 Radierungen), in denen er sich selbst zu Werbungszwecken als kostenloses Modell abgab („tronie“): im 17. Und 18. Jh. entwickelte sich das Porträt im Hierarchiegefüge der Akademien zur eigenen Bildgattung. Auch die (typisch niederländische) Genremalerei und das Stillleben fanden sich auf der Liste der akademischen Ausbildung, allerdings ganz unten.

Das 4. Kapitel ist dem galanten Zeitalter unter Ludwig XV. gewidmet mit seiner Leichtigkeit und Frivolität (Fragonard), einer helleren Palette und der Aquarell- und Pastellmalerei. In der Architektur, Malerei und Ausstattung hatte das barocke Versailles eine Vorbildstellung für die Fürstensitze in ganz Europa. Watteau erfand idyllische amouröse Spielereien in ländlicher Umgebung („fêtes galantes“) im Rokoko mit dem Müßiggang der oberen Schichten, in dem sich alles um Kultiviertheit und Verführung drehte. Als Gegenreaktion auf die unsägliche Geldverschwendung fanden die verschiedenen Revolutionen in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts statt, die neue Stile hervorbrachten wie den moralisierenden Klassizismus Jacques-Louis Davids oder die „desastres de la guerra“ Francisco Goyas.

Im 19. Jahrhundert nahm die Debatte zwischen Linie und Farbe wieder Fahrt auf zwischen ihren Kontrahenten Ingres und Delacroix, der sich intensiv mit den neuesten Farbtheorien wie Chevreul beschäftigte. Die romantische Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich sah in der Natur den Beweis für die Gegenwart Gottes: so malte er viele christliche Allegorien, die von einem Leuchten des Himmels erhellt werden, umgeben von Zeichen von Wiedergeburt und Erneuerung. Umfangreiche Unterzeichnungen zeigten eine präzise Planung und wurden mit Bleistiftlinien, Grafit oder Tusche angelegt mit wenigen Pigmenten in dünnen Lasuren und feinsten Tonstufen. Die romantische Einstellung zur Landschaft wurde geprägt von dem Konzept des Erhabenen von Edmund Burke 1756, die im Gegensatz zur traditionellen Vorstellung von Schönheit, Präzision und Klarheit der Aufklärung Ehrfurcht, aber auch Angst auslösen könne. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts dominierte der Realismusstreit die französische Malerei – besonders unter den Anhängern der Protagonisten Gustave Courbet und Jean-Francois Millet. Ihre monumentalen Bauern- und Arbeiterdarstellungen durchbrachen die akademischen Regeln einer kleinformatigen und pittoresken Genremalerei und lehnten sich an die höher eingestufte Historienmalerei an. Millets Bilder wurden vor der Revolution von 1848 wegen ihres Naturalismus gerühmt. Konservative Kritiker schauten jedoch misstrauisch auf Darstellungen der unteren Schichten, witterten sie doch kommunistische Aufstände gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen. Der Realismus musste sich gegen die neu aufkommende Photographie behaupten, der neuen Richtung des Impressionismus und des Postimpressionismus, die sich ihrerseits mit der expressiven Farbigkeit van Goghs konfrontiert sahen.

Das Zeitalter der Moderne seit 1900 befreite die Farbe von ihrer Gegenständlichkeit, drückte Gefühle aus wie bei den deutschen Expressionisten oder fand innovative Ausprägungen in der kubistischen Sprache. Im technisierten Zeitalter wurde Geschwindigkeit thematisiert, die Zerrissenheit der Weimarer Gesellschaft fand neue Ausdrucksformen wie die der Collage. Nachdem Künstler wie Kandinsky den Weg zur reinen Abstraktion einschlugen, gab es bald wieder den Schritt zur Figuration, dadaistischer und surrealistischer Prägung. Dann wieder die Gegenbewegung in den „drip paintings“ Jackson Pollocks und der Farbfeldmalerei Mark Rothkos. Warhols Serien als Teil der Popart, Vasarelys Opart bis zu den Mixed Media Anselm Kiefers und der Pixelmalerei am Computer als nie endende Aktion und Reaktion verschiedener „Ismen“: insgesamt eine spannende und gut lesbare Reise durch die Geschichte der Kunst, ihren Entwicklungen, Techniken und ausgewählten Motiven  mit zahlreichen Abbildungen und Detailausschnitten – ein schönes Weihnachtsgeschenk für die ganze Familie!

Die Gastrezensentin ist Kunsthistorikerin und führt durch Ausstellungen.

Braine, Aliki, Bray, George, Chilvers, Ian, Gwynne, Paul, Zaczek, Grant, R.G., Kay, Ann „Die Geschichte der Malerei: Entwicklungen, Techniken und Motive in der Kunst“ London 2019 (deutsche Ausgabe 2021), Dorling Kindersley Verlag München, ISBN 978-3-8310-4245-6, 29,95 Euro