Nur Heringe haben eine Seele, Geständnisse eines Serienmörders, Der Fall Pleil, Fred Sellin

„Ich bin der beste Totmacher.

… sondern mehr darauf geeicht die Weiber zu bearbeiten. Nach der Pleil’schen Methode, so nenn ich das jetzt. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen. Noch was, worüber die Leute später mal staunen können, wenn’s mich nicht mehr gibt, die Pleil’sche Methode. Wäre sogar was fürs Lexikon, …“

Die Niederschriften eines Serienmörders, Teile der Gerichts- und Ermittlungsakten und ärztliche Gutachten. Zusammengefasst in einem recht flüssigen Tatsachenroman, bei dem der Mörder selbst das Wort ergreift. Pfeil ein kleiner, stämmiger eher unscheinbarer Mann mit Brille, wird 1947 wegen des Totschlags an einem Kaufmann zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ein einmaliger Ausrutscher? Er ist erst 23 Jahre und könnte sein Leben mit 35 wieder aufnehmen. Damals im Jahre 1959, in einem Deutschland, das sich vom Krieg langsam erholt. Doch noch während seiner Haftzeit gesteht er weitere Morde. Er behauptet, 25 Frauen erschlagen und danach sexuell missbraucht zu haben.

Dass Pfeil hier selbst zu Wort kommt, mach den Gräuel seiner Taten nur schlimmer. Denn seine Todeslust, die Perversion seiner Sexualität und die Brutalität seiner Taten, werden in einer Naivität und Sorglosigkeit vorgetragen, dass es einem Schauer über den Rücken jagt.

Fred Sellin, Jahrgang 1964, studierte Journalistik, arbeitete als Redakteur bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen. Als freier Autor hat er unter anderem die Autobiografien von Maria Höfl-Riesch, den Klitschko-Brüdern, Dagur Sigurdsson und Ben Becker sowie Biografien über Heinz Rühmann und Boris Becker verfasst.  Zuletzt erschien bei Droemer „Der Riss“.

Dumm, dass man ihn ausgerechnet für den Mord an einem Kaufmann verhaftet. Denn der junge Rudolf Pfeil hat noch viel mehr Menschen auf dem Gewissen. Und das waren ausnahmslos Frauen, die er mit Vorliebe Biester nennt. Dabei ist er selbst verheiratet und hat ein kleines  Kind. Als Grenzgänger im Nachkriegsdeutschland, lebt er von Schwarzmarktgeschäft in den Besatzungszonen. Er schleust Leute aus der Ostzone für Geschäfte mit den Briten, Amerikaner oder Franzosen und wiederum anderer rein in die russische Besatzungszone. Denn er kennt sich aus und weiß, wo man rübermachen kann. So manchem hübschen Mädchen, das er im Zug kennenlernt, bietet er seine Dienste unentgeltlich an. Nur werden 25 dieser Mädchen und Frauen nie dort ankommen, wo sie hin wollten. Noch im Gefängnis, in dem er seine zwölfjährige Haft für den Totschlag des Kaufmanns absitzt, sprudeln seine anderen Taten nur so aus ihm heraus. Erst glaubt man ihm nicht, doch die Bilanz sind elf erwiesene ermordete Frauen. Den Rest konnte man in den Nachkriegswirren nie aufklären.

Pleils Niederschriften erzählen von dem gewalttätigen Vater, der soff, ihn, seine Schwester und Mutter zusammenschlug und als Kommunist von den Nazis verhaftet wurde. Doch gerade dieser Mann wird irgendwann wieder freigelassen und tyrannisiert seine Familie weiter. So findet Rudolf schon in der Kindheit seine Seligkeit im Alkohol. Seine Epilepsie scheint angeboren und durch den Alkoholmissbrauch wesentlich gefördert. Aber  damals, 1947 wurde noch nicht so schnell von soziopathischer beziehungsweise dissozialer Persönlichkeitsstörungen gesprochen. Sie jedoch wird in fast jedem Satz von Pfeils Berichten klar. So schreibt er überzeugt, dass er nicht böse ist, in fast naiven Worten wundert er sich, warum der Psychiater ihn in einem Bericht als Raubtier bezeichnet. Er weist die Schuld von sich, empfindet sogar einen gewissen Stolz auf seine Methode. Doch die Frustrationsgrenze ist bei ihm wie bei diesem Krankheitsbild sehr niedrig. So versucht er sich  selbst zu kastrieren und erhängt sich schlussendlich am 15. Februar 1958 in seiner Zelle.

Das Buch ist harte Kost, keine Frage. Es ist auch nicht einfach, Rudolf Pleil in seinen Berichten zu folgen. Denn der Mann schreibt wie jemand, der nie eine richtige Schulbildung erhielt. Manchmal sogar kindlich naiv, was den Leser berührt und in dem gleichen Moment beschämt. Doch die emotionelle Distanzierung zu seinen Opfern zeigt dann wieder den Psychopathen, der keine Empfindung verspüren kann.

Nur Heringe haben eine Seele, Droemer, gebundenes Buch, Seiten 315, ISBN: 978-3-426-27838-3, Euro 20,00.