Als gebürtiger Dresdner hat Goldammer wieder seinen Roman in seiner Heimatstadt angelegt. Als in der DDR aufgewachsener hat er erlebt was es hieß in einem Land zu leben in dem der Staat alles für seine Bürger kontrollierte und bestimmte. Das begann schon, und hier setzt der Autor an, bei der Geburt. Da wurden schon Kinder von Eltern die nicht systemkonform waren in Staatsobhut genommen. Der Staat wollte ja dem Sozialismus ergebene Menschen „züchten“. Diese Linientreuen Staatsbürger mit höheren Funktionen hatten alle Möglichkeiten der Lebensführung, sprich Westprodukte und Reisemöglichkeiten. Goldammer zeigt in seinem Werk sehr deutlich diese Atmosphäre der Unterdrückung und Bespitzelung durch den Staat. Ein Roman der in einem deutschen Staat spielt, den es heute nicht mehr gibt, dessen mentalen Auswirkungen noch heute deutlich zu spüren sind.
Frank Goldammer wurde 1975 in Dresden geboren und ist gelernter Maler- und Lackierermeister. Neben seinem Beruf begann er mit Anfang zwanzig zu schreiben, verlegte seine ersten Romane im Eigenverlag. Mit ›Der Angstmann‹, Band 1 der Krimiserie mit Max Heller, gelangte er sofort auf die Bestsellerlisten. Er ist alleinerziehender Vater von Zwillingen und lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt.
Ricarda Raspe und ihr Verlobter freuen sich auf ihr erstes Kind. Doch dann geht bei der Geburt in der Dresdner Klinik etwas schief − und es heißt, Ricardas Baby sei tot. Laut Vorschrift darf sie es nicht einmal mehr sehen. DDR-Alltag im Jahr 1973. Aber Ricarda glaubt nicht an den Tod ihres Kindes. Sie glaubt vielmehr an eine staatlich angeordnete Kindesentführung. Auch der Polizist Thomas Rust, der zufällig Zeuge des dramatischen Vorfalls wurde, hegt diesen Verdacht und stellt Recherchen an, die ihn in höchste Gefahr bringen. Erst 17 Jahre später laufen die Fäden zusammen, als die junge Claudia Behling jene Frau sucht, die sie nach ihrer Geburt weggegeben haben soll – ihre Mutter.
30 Jahre nach der Grenzöffnung ist es noch nicht gelungen innerhalb Deutschlands gleich Verhältnisse herzustellen. Das liegt, auch hier gibt das Buch antworten, an der sehr ungleichen Sozialisation der Menschen. In einer Gesellschaft in der ein „freies Wort“ zu Gefängnis führen konnte, war Kritik, oder gar Systemkritik nicht möglich. Fühlen sich deshalb die Pregida Anhänger so wohl weil andere ihnen das Denken abnehmen?
Eschborner Stadtmagazin: Was war der Auslöser zu diesem Thema?
Der Auslöser war eine ältere Dame, die mich hier in Dresden nach einer Lesung auf dieses Thema ansprach, außerdem gab es hier in Dresden tatsächlich einen solchen Fall, eine Frau die 2018 durchsetzte, dass ein vermeintlich leeres Grab exhumiert wurde, es enthielt jedoch tatsächlich die Überreste ihres Kindes.
Eschborner Stadtmagazin: Waren die Einsichtnahmen in die Stasiakten am Anfang wirklich so restriktiv?
Der Umgang mit Stasiakten war und ist immer noch sehr restriktiv, zwar ist die Einsicht nach 30 Jahre sehr viel leichter zu bekommen, doch es gelten noch immer strenge Regeln. Weil es wirklich keine geschichtliche Vorlage gab, wie man mit den Akten umgehen sollte und aus Datenschutzgründen war der Umgang in den ersten Jahren nach der Wende so streng geregelt und schürte dadurch nur noch mehr das Misstrauen der Bevölkerung und den Glauben an die angebliche Allmacht der Stasi
Eschborner Stadtmagazin: Gibt es Zahlen zu diesem Thema? Wieviel Kinder wurden ihren Eltern entzogen. Gründe für den Entzug (z. B. Alkohol)?
Es gibt inzwischen zwei großangelegte Untersuchungen zu dem Thema, an einer aus Meckelburg Vorpommern hatte ich mich bei meiner Recherche orientiert, die zweite aus Sachsen Anhalt wurde erst kürzlich veröffentlicht. Aus beiden geht hervor, dass es mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit keinen staatlich organisierten Säuglingsdiebstahl gab. Zwangadoptierungen waren dagegen durchaus möglich aus vielerlei Gründen. Einerseits wie auch in der BRD oder in anderen europäischen Staaten in der Mehrzahl aus sozialen Gründen, so wurden Kinder aus Gewalttätigen Haushalten entfernt, verursacht eben zum Beispiel durch Alkoholmissbrauch, wobei man den Familien durchaus mehrere Chancen gab und der Weg zur Zwangsadoption sehr lang war. Jedoch gab es auch politisch motivierte Zwangsadoptionen, so wurden einigen Republikflüchtigen die bei der Flucht ertappt wurden die Kinder weggenommen oder politisch anders Denkenden die besonders renitentauftraten.
Anmerkung der Redaktion: In Frankfurt wurden 2019 durch das Jugendamt 384 Inobhutnahmen durchgefürt. Es gibt und gab nie Zwangsadoptionen.
Frank Goldammer: Zwei fremde Leben, Roman, DTV premium, 400 Seiten, ISBN 978-3-423-26255-2, € 16,90