Alle Artikel von Elke Rossmann

Die Streisaurier, Annette Langen, illustriert von Gloria Jasionowski, Kinderbuch ab 4 Jahre

Erwachsene streiten, Kinder streiten und natürlich streiten auch Dinosaurier, dann nennt man sie die Streitsaurier. Und bei dem Superosaurus und dem Miracelrex ist alles eine Streitfrage, wer ist der Bester, der Klügste und vor allem, wem gehört die Insel die so schön im Meer liegt. Also tragen sie einen Wettkampf aus, wer der Stärkste ist und merken dabei, dass ihre Insel bloß der Rücken einer riesigen Planschosaurierin ist. Was eine Glück das die beiden zu zweit sind und die Planschosaurierin keinerlei Hunger hat. Auf einem kleinen Baumstamm können sie entkommen und plötzlich finden sie eine richtige Insel, und die wird: Unsere Insel!

Eine tolle einleuchtende Geschichte um Streit, Versöhnung und kluge Entscheidungen, die selbst, die aller kleinsten gut verstehen. Die Illustrationen sind entzückend und herrlich farbenfroh. Ein überaus geeignetes Vorlesebuch, bei dem Oma, Opa und die Enkel oder Mama, Papa mit ihren kleinen Lieben viel zu schauen haben. Für mich ein ideales Nikolausgeschenk, das jedem Kleinkind viel Freude bereiten wird. Selbst ich habe Superosaurus und Miracelrex ins Herz geschlossen.

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Der Liebe Zuliebe, Konstantin Wecker

Ich habe einige von Konstantin Weckers Büchern gelesen: Der Klang der ungespielten Töne, Mönch und Krieger und Uferlos. Mit sechzehn Jahren sah ich den damals dreißigjährigen Sänger das erste Mal live und ich war im Laufe meines Lebens unzählige Male bei seinen grandiosen Konzerten. Das Konzert 2024 in der Alten Oper in Frankfurt war mein Letztes. Konstantin Wecker, ein Sänger im Alter von siebenundsiebzig Jahren, und auch ich mittlerweile eine ältere Frau, war ich doch immer noch Liebhaberin seiner Musik. Er hat mit seinen Liedern und seiner Bühnenpräsenz eine enorme Botschaft herübergebracht – und das immer leidenschaftlich!

Dabei war Konstantin Wecker schon immer zwei Personen in einem Körper. Auf der einen Seite der geniale Liedermacher, Revolutionär, der Romantiker und einfühlsame Sänger, der sich in unsere Herzen spielte und ein unvergleichbares Lebensgefühl hinterließ. Auf der anderen Seite ein Mann, der sich seiner Anziehungskraft und Attraktivität sehr bewusst war, kaum Gelegenheiten ausließ und auch mal wie ein Zuhälter im Pelzmantel durch München zog. Ein Mann, der Partys und Orgien feierte. Ein Krimineller, der einen Bankraub, eine Jugendsünde, beging und der wegen Kokainbesitz hinter Gitter kam. Ein VIP, der das Geld mit vollen Händen herausschmiss und völlig pleite mit einem Haufen Schulden dastand. Ein Künstler, der zeitweise drogensüchtig und alkoholkrank war, der in erster Ehe eine dreizehn Jahre jüngere Frau und in zweiter Ehe eine siebenundzwanzig Jahre jüngere Frau heiratete. Zwei Seelen wohnten da in einer Brust, und dennoch waren seine Bücher immer ehrlich. Man erkannte ihn wieder, die beiden Seiten an ihm, die er auch nie zu verstecken bemüht war.

Sein neues Buch, Der Liebe Zuliebe, hat mich jedoch sehr erstaunt, denn ein dritter Konstantin Wecker betritt hier die Bühne der Öffentlichkeit. Einer, der mir nicht gefällt und mit seinem mystischen, religiösen Gesäusel eine Herausforderung für mich darstellt. Aber wer bin ich? Lesen Sie Konstantin Weckers neues Buch und entscheiden Sie lieber selbst, was Sie davon halten. Ich bleibe derweil den beiden Weckers, die ich kenne und als Künstler lieben gelernt habe, treu. Dem bösen Buben und dem genialen Liedermacher!

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Jane Austin, Ihr Leben als Graphic Novel, Janine Barchas, Isabel Greenberg

Der Fairness halber muss ich vorausschicken, dass ich kein Fan von Jane Austen bin. Ich habe nie eines ihrer Bücher gelesen, aber immer mal wieder eine der vielen Verfilmungen von Stolz und Vorurteil und Sinn und Sinnlichkeit gesehen. Man kann mich mit Wuthering Heights eher in die Emily-Brontë-Ecke stellen. Darum gerate ich wahrscheinlich auch nicht so schnell ins Schwärmen über diese Graphic Novel, wie es ein eingefleischter Austen-Fan tun wird. Ganz grundsätzlich habe ich viel von Jane Austen erfahren, über ein Leben, das eher von Entbehrung und Geldnot beherrscht wurde. Auch ist es traurig, dass sie zu Lebzeiten, wie viele andere, vor allem weibliche Künstler, nie den verdienten Ruhm erhielt. Daher ist die Novel richtig gut, um Jane Austen zu stehen. Die Zeichnungen passen irgendwie zu dieser Novel und zu Austens Leben. Sie sprechen mich jedoch nicht besonders an. Da sie einfach nicht sehr schön sind, eher hart, minimalistisch und etwas grau. Ein Stil, der recht absichtlich gewählt wurde, um ihre Vita darzustellen, denn immer wenn es um ihre Romane geht, um ihre Fantasiecharaktere, dann wird es farbenfroh und fröhlich.

Mit gutem Gewissen kann ich die Novel jedoch weiterempfehlen, wenn Sie sich für Jane Austen interessieren. Für jeden Fan von Miss Austen wird diese Graphic Novel jedoch ein kleiner Schatz sein, denn als Kenner sehen Sie wahrscheinlich viel mehr im Detail, als ich vom Leben der berühmten Jane Austen überhaupt weiß. Weiterlesen

Frau Morgenstern und die Offenbarung, Marcel Huwyler

Am 8.10.2025 rutschte der Krimi auf Platz eins der Schweizer Bestseller-Liste und das zu recht, denn er ist einfach köstlich! Witzig, liebevoll und mit einem Haufen Ironie gewürzt.

Violette Morgenstern ist eine pensionierte Lehrerin und Auftragskillerin und arbeitet im Team mit dem Miguel, einem ehemaligen Söldner, bei Tell, dem Regierungsgeheimdienst der Schweiz. Aber auch privat bilden sie jetzt eine Einheit, da Miguel mit seinen fünfjährigen Zwillingstöchtern bei Violette Morgenstern eingezogen ist und sie damit zur Oma oder auch Omistern genannt, gemacht hat. So ein Privatleben mit Kindern, Omapflichten und Killerkommandos kann schon mal stressig werden. Besonders wenn man auch noch zwei Liebhaber hat und das Jugendamt endlich mal Papiere für die Kinder von Miguel will. Nur übel, dass er seine Meitlis nach dem Tod der leiblichen Mutter aus Frankreich entführen musste. Mit Papieren ist es da weit her. Aber hey, immerhin arbeiten sie für den Geheimdienst, da geht doch was. Wenn nur nicht dieser Großauftrag mit elf Zielpersonen zu erledigen wäre. Es ist schon eigenartig, das ausgerechnet ein Ägyptologe der Universität mit seinem Team auf der Todesliste steht. Aber als Killer hat man keine Fragen zu stellen, man führt den Auftrag aus, auch wenn ungute Gefühle im Raum stehen, oder auch nicht?

Tolle Kriminalstory, bei der man unentwegt schmunzelt und häufig laut loslacht. Außerdem bekommen die Behörden, egal ob Geheimdienst oder Jugendamt, die in dem Roman ›Pädagogisch engagierter Schutz-Truppe‹, kurz PEST, genannt, ordentlich ironische Schläge ab. Machen Sie sich liebe Leser selbst eine Freude und lassen Sie sich auf die Abenteuer von Frau Morgenstern ein. Für mich war es auch nicht das letzte Buch der Reihe, das ich mir selbst schenken werde. Weiterlesen

Wenn die Masken fallen, Kate van Borgh, Cambridge Thriller

Dieser Roman ist wirklich ein Debüt und man kann es kaum glauben. Denn die Geschichte ist raffiniert, unterhaltsam, mystisch und hat einen Touch von Wahnsinn. Dabei bewegt sich Kate van Borgh bei ihren Beschreibungen mit einer fast traumwandlerischen Sicherheit durch Cambridges Flair. Sie beschreibt die Schönheit der Musik und die Abgründe von Menschen mit einer teils lyrischen Sprache und einer Sicherheit, die man nur von gestandenen und äußerst talentierten Literaten kennt.

Kate van Borghs Roman ist auf langen Strecken äußerst undurchsichtig, baut seine Spannung dadurch auf, dass jede Person in der Geschichte irgendwie manipuliert und manipuliert wird. So fiebert man regelrecht auf die langersehnte Auflösung am Ende hin. Die brennende Frage, was ist wirklich passiert?, wird dort auf den letzten etwa hundert Seiten von verschiedenen Sichtweisen beantwortet. Und das macht diesen Roman so genial. Denn er hinterlässt unterschiedliche Gefühle, je nach Blickwinkel. Die Wehmut von verpassten Chancen, die Wut über grenzenlose Dummheit, die Verachtung von Selbstverständlichkeiten, die nur manchen Privilegierten zuteilwerden, und die Scham darüber, wenn Liebe zur Besessenheit wird.

Mich hat der Roman »Wenn die Masken fallen« völlig in seinen Bann gezogen, und das in so vielfältiger Hinsicht. Doch die verborgene Bedeutungsebene der Geschichte wurde ganz wunderbar mit den Worten der englischen Zeitung »The Guardian« beantwortet. Und da ich das Rad nicht neu erfinden muss, zitiere ich hier: »Der Roman wirft die Frage auf, ob wir alle unzuverlässige Erzähler unseres eigenen Leben sind.« Zitat The Guardian

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Brightstone College, Elisabeth Herrmann, Jugendbuch ab 14 Jahre Thriller/Romanze

Eines ist mittlerweile klar: Elisabeth Herrmann schreibt super Thriller! Ich hatte ihre All-Age-Thriller-Trilogie Ravna gelesen und mit Freude besprochen. Mit Brightstone College ist es für mich das erste Jugendbuch dieser Autorin. Ich war etwas skeptisch bezüglich des Titels und hoffte, nicht schon wieder einen amerikanischen Abklatsch lesen zu müssen. Frau Herrmann jedoch kann es einfach. Egal ob Nordic Thriller oder ein Internat für die Reichen und Schönen mit dem Namen Brightstone in Niedersachsen, es ist immer alles authentisch. Man nimmt ihr die Geschichte, die Location, die Charaktere, die Gefühle der jungen Leute und auch das Verbrechen einfach ab. Auch merkt man sofort die intensive Recherche für dieses Buch und das macht die Geschichte so glaubwürdig. Definitiv setzt sich diese Geschicht deutlich positiv von den unzähligen, aus dem Amerikanischen übersetzten Jugendbüchern ab

Mich hat es gefesselt und selbst die jugendlichen Schwärmereien und Romanzen waren derart sensibel und realistisch beschrieben, dass ich, obwohl lange aus dem Alter raus, smile, alles mit großem Vergnügen nachvollziehen konnte. Ein prima Jugendbuch, das ohne Weiteres auch von viel älteren, junggeblieben Erwachsenen gelesen werden kann.   Weiterlesen

Wot se fack, Deutschland, Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben, Vince Ebert

Was für ein Buch! Es zeichnet sich durch Klugheit, Sarkasmus, Witz und den Mut aus, unverblümt zu sagen, was man denkt! Und diese Gedanken sind verdammt logisch und durch zwölf Seiten Quellenangaben zur Recherche untermauert. Klar, das ist auch kein Wunder, Herr Ebert ist ein Physiker und diese Spezies von Mensch braucht Fakten. Das Buch ist ein Rundumschlag durch die deutsche Gesellschaft und wer sich die Überschriften der Kapitel so ansieht, weiß bereits, worum es geht. Überschriften wie »Vom Durchblick zum Irrsinn«, »Von der analogen Rebellion zur digitalen Angepasstheit« und »Wer denken will, muss fühlen« sprechen schon für sich selbst. Eines ist das Buch von Herrn Ebert nicht, es entspricht bestimmt nicht dem Zeitgeist und wird vielen Moralaposteln nicht gefallen. Aber das sagte der Autor ja selbst, dass sein Buch hoffentlich nicht jedem gefällt. Und das wird es nicht, denn der eine oder andere, der verlernt hat, was Ironie, Sarkasmus, Zynismus oder auch was Humor bedeutet, wird bestimmt völlig beleidigt die Nase rümpfen.

Ich, lieber Herr Ebert, habe mich köstlich amüsiert. Hurra, es lebe die Satire, und Sie haben recht, auch wenn sie nicht politisch korrekt ist, sollte dies nie die Freiheit in der Kunst beschränken.

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Der stille Freund, Ferdinand von Schirach

Ferdinand von Schirachs Gedanken, in seiner neuen Kurzgeschichtensammlung, »Der stille Freund« ähneln dem Buch, »Kaffee und Zigaretten«. Dieses Mal jedoch eher subtiler und, wie es mir scheint, persönlicher. Er spricht zum Beispiel über den Tod mit der Stimme einer totkranken Freundin, was ich an der Stelle zitieren möchte: Den Tod darf man nicht zu ernst nehmen. Wenn man verzweifelt ist, stirbt man. Wenn man nicht verzweifelt ist, stirbt man. Besser also, man ist nicht verzweifelt. Oder er führt den Lesern, in seiner kleinen Erzählung über seinen stillen Freund Massimo, die Unfähigkeit der Menschheit vor Augen, aus Geschichte und Erfahrung irgendetwas lernen zu können. Handfester wird dann schon die Geschichte, »Wirklichkeit und Wahrheit«. Vom Stil her eher eine Zusammenfassung von Ereignissen zum Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 auf israelische Zivilisten. Es geht um die Geiseln, die auf abscheulichste Art und Weise den Tod fanden, während in den westlichen Ländern Menschen über den Terroranschlag jubelten und kurz danach in London 100 000 Demonstranten für die Palästinenser auf die Straße gingen. Wenn man sich die ethische oder philosophische Definition von Wahrheit und Wirklichkeit ansieht, ist diese in unserer Zeit wirklich in Auflösung begriffen, und das, durch die Macht der sozialen Medien. Alles in allem steht wie immer der Mensch im Mittelpunkt der Geschichten. In all seiner Größe, seiner Niedertracht, seinem Mut, seiner Unsicherheit und auch seinem Genie und dessen Teufel und Gott.

Der Text ist klar, auf den Punkt gebracht, ohne literarische Schnörkel, doch in einer sehr schönen Sprache geschrieben. Und es freut mich, dass Ferdinand von Schirach mit »Der stille Freund« wieder auf Lesereise geht. Ich bin am 26.11.2026 in der Alten Oper in Frankfurt wieder dabei. Denn obwohl man Herr von Schirach eher als introvertiert wahrnimmt, so hat er eine erstaunliche Bühnenpräsenz.

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100 Jahre Lebensglück, Bildband mit Text, Karten Thormaehlen

›100 Hundert Jahre Lebensglück‹, ist ein außergewöhnlicher Bildband mit Texten und Fotografien von Menschen, die hundert Jahre alt sind und zum Teil sogar älter. Ich persönlich finde den Bildband einfach nur wunderbar und er hat mich ein Stück gelassener gemacht. Es stellt sich jedoch die Frage: Ist solch ein Buch von Interesse für Leser, die ihr Leben noch vor sich haben?

Momentan befinden wir uns in Deutschland in einer Situation, in der ältere Menschen einen immer größer werdenden heterogenen Teil der Bevölkerung bilden. Sowohl was die Erwerbstätigkeit, das soziale Engagement, die finanzielle Absicherung als auch was die Eigenständigkeit angeht, sind immer mehr Alte recht agil im Leben unterwegs. Wollen wir uns also Fotos dieser uralten Greise ansehen und ihre Geschichten lesen?

Wir leben eigentlich in Zeiten, in denen es um Jugend geht, wenn möglich, ewige Jugend! Unglaublich viele unserer Filmidole, VIPs, Models und Superreiche arbeiten mit chirurgischen Eingriffen, um geliftet, entfettet an Hüften und Bauch, gepolstert an Busen und Po und fast bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet, mit comichaften, Katzenaugen und Daisy-Duck-Lippen gegen das Alter ankämpfen. Jugend und Schönheit um jeden Preis in einer Epoche, in der die Fitnessstudios einen zunehmenden Trend in Richtung 50+ erfahren. Und in solchen Zeiten kommen Fotograf Karsten Thormaehlen und Autorin Constanze Kleis mit einem Buch, das den Titel ›100 Jahre Lebensglück‹ trägt und auf ganz natürliche Weise gealterte Menschen zeigt.

Die Antwort auf die Frage, ob der Bildband gerade in unseren Zeitabschnitt passt, ist für mich ein unbedingtes: Ja! Wir sollten uns diese ausdrucksstarken Fotografien der Hundertjährigen und ihre Vita ansehen. Denn die Fotos haben eine enorme Ästhetik und sprechen für sich selbst von der wahren Schönheit im Menschen. Außerdem berichten die Geschichten dieser alten Menschen davon, dass es den echten Jungbrunnen, dem so viele auf Kosten ihres Lebens hinterherjagen, eigentlich nicht gibt. Ein Buch für jedes Alter von zwanzig bis hundert geeignet. Denn es vermittelt allein durch die Fotos ein beruhigendes Gefühl, dass jeder Mensch, wenn er richtig alt ist, endlich dem Unvermeidlichen gelassen ins Auge blicken kann: dem Altwerden und Sterben.

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Mädchen, 1983, Linn Ullmann

Als Autofiktion wird in der Literaturwissenschaft ein Text bezeichnet, in dem die Autorin oder der Autor erkennbar sind, in einer offensichtlich fiktionalen Erzählung. Oder kurz ausgedrückt: ›eine Fiktion strikt realer Ereignisse und Fakten‹. Diese Definition des Schriftstellers Serge Doubrovsky, auf den der Begriff Autofiktion zurückgeht, trifft Linn Ullmanns neuesten Roman ›Mädchen 1983‹ wohl am besten. Denn was daran Fiktion ist, was daran weiße Flecken, also Erinnerungslücken sind, die während einer schweren depressiven Phase der erwachsenen Frau gefüllt wurden, und was wirklich geschah, bleibt dahingestellt. Und das ist bestimmt kein Zufall. Es macht den Eindruck, dass Linn Ullmann gerade mit den vagen Vermutungen einer Realität und dem absichtlichen Verwerfen von Fakten einen absurd eigenständigen Raum für den Leser kreiert. Damit muss man bei der Lektüre dieses Romans erst einmal klarkommen, nur um anschließend der Autorin zu verfallen. Lässt man sich als Beobachter auf den Missbrauch des jungen Mädchens und das Trauma der erwachsenen Frau ein, so fragt man sich, warum Linn Ullmann dann die Geschichte des Fotos, das an all den Ereignissen von 1983 in Paris schuld war, ad absurdum führt. Denn das verloren gegangene Foto, das von der sechzehnjährigen Linn Ullmann damals in Paris aufgenommen wurde, von besagten übergriffigen Fotografen A, einem fast fünfzigjährigen Mann, soll nicht mehr existieren. Doch es ziert das Buchcover und wurde von einer Fotografin, Albane Navizet, die selbst einmal als Model arbeitete, gemacht.

Eine Autofiktion, die schwer mit Worten zu fassen ist, aber mit Linn Ullmanns Worten zu fesseln vermag. Ein Roman, dem man im wahrsten Sinne des Wortes verfällt, je mehr man sich einliest. Weiterlesen