Annabelle Hirsch hat sich für Ihr – für mich überaus gelungenes Debüt – ein rechercheintensives Thema gewählt und es bestens umgesetzt und gemeistert. 100 Kapitel. 100 Objekte (Frau nicht inbegriffen). Flott, unterhaltsam bis witzig und leicht verständlich geschrieben, stellt die Autorin Gegenstände aus dem Alltag der Frauen, deren Bedeutung und ihren Einfluss vor und teilt mit der Leserschaft ihren Blick auf „Die Dinge“ “ (beispielhaft seien hier erwähnt: Chopines (Plateauschue), Daumenschraube, Phrygische Mütze, Analytical Engine, Die Hutnadel, Chanel No. 5, Lippenstift, Klebezettel der Widerstandgruppe „Rote Kapelle“, Bikini und Minikleid). Ob man sich den einzelnen Themen chronologisch (beginnend 30.000 v. Chr. mit Verheilter Oberschenkelknochen) oder zufällig (bis 2017 Pussy Hat) nähert, obliegt den Leserinnen und Lesern. Ja – es ist geschlechterübergreifend interessant und lesenswert. Und weit mehr als nur „gut zu wissen“. Die Autorin beschränkt sich laut eigener Aussage auf die Betrachtung der westlichen Frauen, weil ihr andere Kulturkreise zu fremd sind, als dass sie ihnen gerecht werden könnte. Wobei die Grenzen des „Westens“ angesichts des Kapitels 3 „Hatschepsut-Statue“ geografisch recht elastisch sind. Dass die Tupperschüssel bei diesen, von Annabelle Hirsch subjektiv ausgewählten Objekten nicht fehlt, hat seinen berechtigten Grund! Mögen die einen oder anderen noch die Augen verdrehen, betrachten sie nach der Lektüre des Kapitels Tupperware vielleicht mit ganz anderen Augen.
Annabelle Hirsch, 1986 geboren, ist Deutsch-Französin. In München und Paris studierte sie Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Philosophie. Sie arbeitet als freie Journalistin für FAS/FAZ, Taz und diverse Magazine, schreibt Kurzgeschichten und ist literarische Übersetzerin aus dem Französischen. Sie lebt in Rom und Berlin.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, eine Geschichte der Frauen zu erzählen, diese hier tut es anhand von Objekten. Hundert Gegenstände des Alltags, der Mode, der Medizin, der Kunst, leise und laute Objekte, solche, die vom Freiheitsdrang und der Rebellion der Frauen zeugen, aber auch solche, die für die Mythen und Normen stehen, mit denen man sie schon immer kleinhalten wollte. Annabelle Hirsch schafft einen Kosmos der Frauen und ihrer Dinge. Wir begegnen einer antiken Amazonen-Puppe, einem Lilith-Amulett, der Nonnen-Krone von Hildegard von Bingen, venezianischen Stelzenschuhen, einem Bidet, einer Hungerstreik-Medaille, einem Teller von Vanessa Bell, dem Baumwollbeutel einer amerikanischen Sklavin, einer Brosche von Hannah Arendt, einem »100-Stundenkilometer-Mantel«, einer Tupperdose und vielem mehr.
Kein&Aber Verlag – gebunden – 35,00 € – 416 Seiten – ISBN 978-3-0369-5880-4