Stefan Kuhlmann: Herr Winter taut auf | Interview: Fünf Fragen an den Autor

Was für ein Romandebüt! Gratulation. Flott, witzig, unterhaltsam, mit viel Tiefgang und wundervollen Charakteren. Allen voran Herr Winter, der Protagonist dieser Geschichte. Gerade als Finanzbeamter in Pension gegangen, verliert er seine Frau Sophia auf tragische Weise bei einem Autounfall. Sophia war AVON-Beraterin, der Keller ist voll mit Kosmetikprodukten, Kunden wollen ihre Bestellungen haben, was also tun? Sich weiterhin vor der Welt verkriechen und sich seinem Schmerz hingeben, oder Sophias großen Wunsch erfüllen und für sie den Titel AVON-Beraterin des Jahres holen? Der Mut – und Herr Winter – stellen sich die Wege kürzer vor. Es ist ein weiter Weg bis ihm Begriffe wie Mascara und Foundation leicht über die Lippen gehen und er die Grundbegriffe des Schminkens verinnerlicht hat. Und als sich der berufliche Erfolg einstellt, muss er feststellen, das in der Welt des schönen Scheins mit harten Bandagen gekämpft wird. Aber Herr Winter hat Verbündete: seinen Nachbarn Basti, Rosemarie von der AVON-Hotline und seine zufriedenen Kunden, die sich darauf freuen, dass AVON bei ihnen läutet. Und Dank der umsichtigen Anleitung durch die Richterin Lilly Fischer wird aus dem knorrigen Zahlenmenschen Robert Winter ein charmanter, emphatischer Zeitgenosse, der mit Geduld und Einsicht sogar das verkorkste Verhältnis zu seiner Tochter und seinem Enkel wieder hinbekommt. Er springt über viele Schatten, aber es ist nicht die Wandlung vom Saulus zum Paulus, er ist eher der eiserne Heinrich aus dem „Froschkönig“, der die eisernen Ketten, die sich um sein Herz gelegt hatten, sprengt.

Foto: Jordis Antonia Schloesser

Stefan Kuhlmann wuchs in Norddeutschland auf und lebt heute als freier Autor in Berlin, wo er vor allem für Film- und Fernsehen schreibt. Aus seiner Feder stammen die Drehbücher zu mehr als 50 Spielfilmen und Serienepisoden, unter anderem zu der erfolgreichen ZDF-Reihe Familie Bundschuh. «Herr Winter taut auf» ist sein Romandebüt.

 

 

Robert Winter hat keine Lust auf Geschwätz und keine Zeit für Unsinn. Ihm ist egal, was andere Menschen über ihn denken. Sie sollen ihn einfach nur in Ruhe lassen. Und so versteht er auch überhaupt nicht, was seine Frau Sophia an ihrem Beruf als AVON-Beraterin so liebt. Für ihn sind Beauty-Produkte so ziemlich das Letzte, womit er seine Zeit verbringen möchte. Erst als ein Unfall Sophia aus seinem Leben reißt, ändert sich alles schlagartig. Um nicht in Trauer zu ertrinken, beschließt Robert, in ihre Fußstapfen zu treten und für Sophia den Titel «AVON-Beraterin des Jahres» zu gewinnen. Nur ist das schwerer als gedacht. Deutlich schwerer …

Rowohlt – Taschenbuch – 353 Seiten – 14,00 € – ISBN 978-3-499-01223-5

Fünf Fragen an den Autor, gestellt von Angela Perez

Lieber Herr Kuhlmann,

herzlichen Glückwunsch zu Ihrem aktuellen, ersten Roman nach ungefähr 50 Drehbüchern aus Ihrer Feder. Leser:innen sind neugierige, wissbegierige Menschen und deshalb würde es mich sehr freuen, wenn Sie Antworten auf meine Fragen haben.

So sehr ich das Lesen Ihres Buches genossen habe, so sah ich die Geschichte auch immer als Film vor mir. Arbeiten Sie schon am Drehbuch und können wir uns auf einen Film freuen? 

Tatsächlich wurde „Herr Winter taut auf“ unter zahlreichen Einreichungen von einer Jury des Filmfestes München ausgewählt, um vor Filmproduzen:tinnen präsentiert zu werden. Das Echo der Filmbranche hat mich überwältigt, und ich kann sagen, dass eine Verfilmung damit sehr wahrscheinlich geworden ist. Auch ich kann mir meine Geschichte ganz wunderbar als Film vorstellen.

Die Figur des Robert Winter ist so gelungen und realistisch, dass man sich fragt, gibt es eine reale Person, die dem Protagonisten zugrunde liegt?

In der Tat stecken einige Züge von mir in Herrn Winter. Small Talk gehört nicht zu meinen Stärken. Ich brauche Zeit, bis ich auftaue und Vertrauen fasse. Mit oberflächlichen Beziehungen kann ich wenig anfangen, dafür pflege ich langjährige und tiefe Freundschaften. Und ja, auch mich entspannt es, die Kaffeemaschine für den Kaffee am Morgen schon am Abend zuvor vorzubereiten. ?

Kennen Sie die Angst vor der ersten Seite?

Allerdings. Vor jedem neuen Projekt kreise ich tagelang nervös um meinen Schreibtisch. Aber irgendwann kommt der Moment, an dem ich mich einfach hinsetze und loslege. Und dann läuft’s. Mit der Zeit hat sich eine gewisse Routine eingestellt, und ich habe gelernt, diese Angst als Teil des Arbeitsprozesses anzunehmen.

Eine Geschichte begleitet den Autor über eine gewisse Zeit: Idee, Recherche, Schreiben, Veröffentlichung, Bewerbung, Lesungen… Haben Sie ein Ritual diese Phase abzuschließen, sozusagen das Buch ins Regal zu stellen?

Abschiede fallen mir generell nicht leicht. Auch von meinen Geschichten und den Figuren, die während des Schreibens wirklich lebendig für mich werden. Man erlebt, leidet und freut sich miteinander. Es erwischt mich jedes Mal kalt, wenn ein Projekt plötzlich fertig ist, und dann brauche ich Zeit fürs Loslassen. Wie im richtigen Leben.

Nach dem Buch ist vor dem Buch. Gibt es bereits Ideen für eine neue Geschichte?

Zurzeit schreibe ich am Drehbuch für einen neuen Teil der ZDF-Reihe „Familie Bundschuh“, die auf den Romanen von Andrea Sawatzki beruht. Aber ja, ich habe auch eine neue Idee für einen Roman, und der Rowohlt-Verlag hat bereits großes Interesse bekundet. Ich denke, wir alle können uns auf neues Buch freuen.

Vielen Dank