Violeta wird 1920 in Südamerika, als lang ersehnte Tochter der Patrizierfamilie del Valle geboren. Es ist das Jahr, in dem die spanische Grippe weltweit wütet. Hundert Jahre später, wieder ist die Menschheit in den Klauen einer Seuche gefangen, erzählt die alte Frau in Briefform dem geliebten Enkel Camilo ihre Lebensgeschichte. Violettas langes Leben mutet oft an, wie ein Blatt vom Winde verweht, ohne dass sie Einfluss nehmen konnte oder wollte. So werden die Zeitereignisse erzählt und dabei nicht unbedingt kommentiert. Eher nach dem Motto: So spielte das Leben mir einfach mit. Dennoch ist es eine Erzählung, die mir sehr gefallen hat und die wohl in solch einer Form auch meine Großmutter, die zwei Weltkriege erleben musste, hätte beschreiben können. Erwartet hatte ich ein so schönes Buch nicht, als ich zuvor die kritischen Rezensionen vom Deutschlandfunk, der den Roman als „verplauderte Huldigung einer Jahrhundertfrau“ und als ein Werk, welches „zu viel und zu wenig von allem bietet“, beschrieb. Auch die Süddeutsche und die FAZ stellten sich eher auf die kritische Seite. Was mich, wie gesagt sehr erstaunte.
Diese Erzählung ist es absolut Wert, gelesen zu werden. Daher halte ich es eher mit dem Daily Telegraph und unterstreiche den Satz: Ein wunderschön erzähltes Epos, fesselnd vom ersten bis zum letzten Satz.
Autorinnenfoto: ® Lori Barra
Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie – und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt – für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
Eine in sehr jungen Jahren verwöhnte Patriziertochter, der es an nichts mangelte, das ist Violeta. Als die Weltwirtschaftskrise auch ihre Familie in den Ruin stürzt, erschießt sich der Vater. Für Violeta ein Trauma, welches prägend für sie wird, denn sie fand ihren erschossenen Vater in der Bibliothek. Relativ mittellos verlassen sie, ihre Mutter, die Tanten, ihr Bruder José Antonio und das Kindermädchen Miss Taylor die Kamelienvilla in der Hauptstadt, um aufs Land zu gehen. Die ersten zwanzig Lebensjahre bezeichnet die Autorin im ersten Teil als Verbannung. Doch für Violeta ist diese Verbannung ein Segen, es ist ein Ort der Wärme, an den sie immer wieder zurückkehren wird. Aus Violeta wird im zweiten Teil der Saga eine leidenschaftliche Frau. Sie stürzt sich in eine gewalttätige Beziehung, aus der zwei Kinder hervorgehen. Auch in den folgenden Jahren, die durch die Verfolgung der Junta und dem Absturz und Tod ihrer Tochter geprägt sind, lässt sich Violeta nicht bezwingen. Mit fast stoischer Kraft und einer unbändigen Lust am Leben wird sie eine alte Frau voller Selbsterkenntnisse. Und am Ende ihres Lebens erzählt sie ihren Enkel, dem Sohn der verlorenen Tochter diese Geschichte.
Der Roman eines Lebens, hundert Jahre, die von welt- und innenpolitischen Ereignissen zum Teil brutal geprägt wurden, aber im Endeffekt nur Beiwerk waren. So muss es sich in einer Erzählung nicht immer alles um die äußeren politischen Ereignisse scharen, so wie eine Kollegin der Presse es sich in ihrer Besprechung wünschte. Manchmal sind solche Ereignisse nun mal nichts anderes als Folien der privaten Geschicke, um bei den Worten der FAZ-Rezension zu bleiben.
Violeta, Isabel Allende, Suhrkamp, Hardcover mit Schutzumschlag, Seiten 400, ISBN: 978-3-518-43016-3, Euro 26,00, erschienen 18.07.2022. Übersetzt von: Svenja Becker