Nach ihrem fulminanten Debütroman Die Frauen von Brewster Place ließ Gloria Naylor fünf Jahre später den fiktiven Roman» Linden Hills« folgen. Was es ihr und ob es ihr etwas bedeutet hätte, dass die beiden Bücher neuaufgelegt in deutscher Sprache erschienen sind, werden wir nicht erfahren und müssen uns mit Mutmaßungen begnügen. Wahrscheinlich wäre sie stolz und zufrieden. Zieht man in Betracht wie sie sich zeitlebens mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandergesetzt hat und Literatur und Kreatives Schreiben an diversen amerikanischen Universitäten unterrichtet hat, würde sie sich vielleicht fragen, ob aus dem derzeitigen Hype um schwarze Literatur ein dauerhaftes Interesse an dieser bleibt. Thema ihres zweiten Romans ist der amerikanische Traum. Naylor schreibt darüber leidenschaftlich, scharf und schnörkellos und gewährt dem Leser einen anspruchsvollen Einblick in die moderne Klassenhierarchie, eingebettet in die schwarze Kultur.
Foto: Tom Keller
Gloria Naylor (1950–2016), geboren in New York, studierte Anglistik und African-American Studies. Ihr Debütroman Die Frauen von Brewster Place erschien 1982, weitere Romane und Erzählungen folgten. Ihr vielschichtiges Werk kreist um das Leben Schwarzer, um ihre Kämpfe und Hoffnungen, in einer Welt, in der Weißsein alles bedeutet. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den American Book Award und den National Book Award. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an verschiedenen amerikanischen Universitäten
Wie schon in ihrer ersten oben genannten Novelle arbeitet die Autorin mit zahlreichen Charakteren. Aber anders als in ihrem Debütroman, in dem die Charaktere im Laufe der Handlung an Bedeutung gewinnen, wirkt Linden Hills eher episodisch, da die Charaktere außer in den Kapiteln, in denen sie auftreten, kaum wieder in Erscheinung treten. Das Viertel Linden Hills ist so angelegt, dass die Bewohner umso wohlhabender sind, je weiter man den Hügel hinuntergeht. Wer also in Linden Hills lebt, ist beruflich und gesellschaftlich etabliert. Aber um welchen Preis? Und so beschreibt Linden Hills, wie Schwarze ihre Seelen gegen die geringste Chance auf ein verbessertes materielles Leben eintauschen. Und während sich Naylor in Die Frauen von Brewster Place auf die Frustrationen der schwarzen Frauen konzentriert, räumt sie in Linden Hills auch den psychischen Schmerzen des schwarzen Mannes Platz ein und stellt die Frage, inwieweit diese Charaktere tatsächlich ihre Schwärze oder zumindest einen wesentlichen Teil ihrer individuellen Persönlichkeit verloren haben. Das besondere für mich an Linden Hills sind die Mitte der 1980er Jahre geschriebenen und angesiedelten gesellschaftlichen Überlegungen und die Dialoge, die so aufschlussreich und authentisch klingen, dass sie nur wahr sein können.
Angelika Kaps, geboren 1950 in Berlin, studierte Germanistik und Politologie. Anschließend war sie als freie Film- und Literaturkritikerin tätig, unter anderem für den Tagesspiegel und die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie verfasste mehrere Kriminalhörspiele für den Rundfunk sowie Drehbücher für Fernsehfilme- und Serien. Angelika Kaps übersetzt aus dem Englischen, u. a. die Werke von Garrison Keillor, Gloria Naylor, Joanna Trollope und Tatiana de Rosnay. Sie lebt in Berlin.
Linden Hills – wer hier lebt, hat es geschafft. Elegante Häuser und perfekt gepflegte Rasen säumen die acht Ringstraßen, die sich den Hügel hinabwinden. Lester und sein bester Kumpel Willie, beide verflucht knapp bei Kasse, verabscheuen die noble Klientel, reinigen aber für ein paar Dollar ihre Auffahrten und Pools. Vorbei an glänzenden Fassaden und übertünchten Rissen arbeiten sie sich Straße für Straße den Hügel hinunter. Bis ganz nach unten, wo Luther Nedeed, das Epizentrum der Macht, ein finsteres Geheimnis hütet.
Unionsverlag – gebunden – 400 Seiten – 26,00 € – ISBN 978-3-29300-585-3