Wer wie ich in einem fast 400 Jahre alten Haus lebt, wundert sich nicht, dass die »Große Didaktik« von Johann Amos Comenius die Jahrhunderte überdauert und unzählige Generationen geprägt hat und offensichtlich kommende Generationen prägen wird – und das weltweit. Denn Comenius war ein Kosmopolit. Nicht, dass er alle ausländischen Einladungen wie zum Beispiel aus Amerika angenommen hätte. Aber er folgte dem Ruf nach Schweden und reformierte dort das Bildungssystem und wirkte unter anderem in England und Ungarn, um nur einige Stationen zu nennen. Im Gegensatz zu einem 400 Jahre alten Haus, das immer wieder Renovierungsarbeiten erforderlich macht, sind die Gedanken von Comenius von einer Allgemeingültigkeit, die beeindruckt: »Der Mensch ist zum Leben in Freiheit und Würde bestimmt: Dieses Plus Ultra wiegt mehr als Gesundheit und materielles Wohl« oder »Die Jugend muss gemeinschaftlich in Schulen gebildet werden« sind nur 2 von 33 Kapiteln. Comenius erlebte den 30-jährigen Krieg, musste flüchten, kannte die Pest und war Exilant. Aber vor allem war er ein hochgebildeter Mann, der erkannt hatte, dass Bildung den Menschen ausmacht. Comenius hat das, was er in seiner Großen Didaktik beschreibt, vorgelebt und ist für seine Überzeugungen fest eingetreten.
Er hat über die Jahrhunderte immer wieder Menschen inspiriert, die seine Große Didaktik ernst nahmen und in deren Biografien zu lesen ist, wieviel Einfluss er auf sie hatte. Als Beispiel sei der tschechische Philosoph Jan Patočka erwähnt, der nach dem gescheiterten Prager Frühling als führender Dissident bekannt wurde und 1977 zusammen mit Václav Havel die Charta 77 begründete. Anlässlich des 125-jährigen Verlagsjubiläums hat der Klett-Cotta Verlag das Werk in einer neuen Übersetzung von Andreas Flitner unter Zusammenarbeit mit Sonia Flitner-Christ, die letzte Übersetzung stammt aus den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts, mit einem Vorwort von Professor Dr. Jürgen Overhoff, herausgegeben. Dieses großartige, spannende Vorwort, das die Zeit und die Gedanken Comenius in Kontext bringt, ermöglichte mir den Zugang zu Große Didaktik und zu der Zeit, in der es geschrieben wurde. Vielen Dank Professor Dr. Overhoff!
Johann Amos Comenius (1592-1670), Erziehungsphilosoph und Bischof der böhmischen Kirche, stammte aus Nivnice in Mähren. Sein Studium der calvinistischen Theologie absolvierte er in Herborn und Heidelberg. Auf ausgedehnten Reisen durch Europa betätigte er sich vielerorts als pädagogischer Reformer. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Amsterdam, wo er sich der Publikation seiner sämtlichen didaktischen Werke widmete, die ihm noch zu Lebzeiten zu großem Ruhm verhalfen.
Jürgen Overhoff (Hrsg.), geboren 1967 in Lippstadt, hat bereits französische und englische Schriften aus dem Zeitalter des Barock und der Aufklärung kommentiert und editiert. Seit 2013 ist er Professor für Historische Bildungsforschung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2018 amtiert er als Präsident der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts.
Klett-Cotta Verlag – broschiert – 432 Seiten – 28,00 € – ISBN 978-3-608-98660-0