Die Redaktion hat die diesjährige Buchmesse genutzt um wieder mit einigen Autoren ins Gespräch zu kommen. Wir trafen Frank Goldammer, der mit seinem neuesten Werk „Vergessene Seelen“ bereits sein 3. Buch mit dem Dresdner Kommissar Max Heller veröffentlicht hat:
Sie sind 1975 in Dresden geboren. Warum verlegen Sie die Handlungen in die Schlussphase des 2. Weltkrieges?
– Tatsächlich gab mein Großonkel an seinem Lebensende mit seinen Erzählungen den Anstoß dazu. Ich begann mich zu informieren über die Nachkriegszeit und stellte fest, dass es nur sehr wenig Literatur zu diesem Thema gab, besonders in der Unterhaltungsliteratur.
Die Traumata der handelnden Personen nehmen einen breiten Raum in Ihren Geschichten ein. Warum?
– Angesichts all der Zerstörung und des Leids, blieb natürlich vieles bei den Menschen zurück, viele hatten alles verloren, Angehörige, Hab und Gut, Heimat, viele wartete Jahrelang auf Nachricht von Verwandten, oder hatten sich aus den Augen verloren, viele waren verletzt, vergewaltigt, geschockt, hatten schlimmste Not gelitten, Hunger, Krankheit. Heutzutage ist es ja normal, dass sich nach Unglücken oder Kriegen Seelsorger um die betroffenen Menschen kümmern, damals war das nicht so, vieles wurde generationenübergreifend weitergetragen (Siehe auch Ihre vorletzte Frage), viele Menschen litten oder leiden ihr Leben lang noch an den Spätfolgen. Mir war es einerseits wichtig auf diese Kriegsschäden hinzuweisen, die ja im Wirtschaftswunder im Westen und im aufkommenden Sozialismus im Osten totgeschwiegen wurden. Und natürlich bieten dies eine Vielzahl von Motivationen und Handlungsraum für einen Kriminalroman
Mich haben die Detailgenauigkeit Ihrer Schilderungen beindruckt. Fließen da viele Informationen von Zeitzeugen ein?
– Ich informiere mich aus der Literatur, aus schriftlichen Zeitzeugenberichten und den wenigen noch lebende Zeitzeugen, besonders hilfreich ist ein sehr alter Mann, der ab 1947 als Kriminalpolizist in Dresden arbeitete. Des Weiteren hilft mir der Polizeiarchivar von Dresden. Auch darf ich mich glücklich schätzen, dass Victor Klemperer ein so umfang- und detailreiches Tagebuch hinterlassen hat.
Dresden steht im Moment auch für die Gründerstadt der Pegida. Ich war mit meiner Frau vor einigen Jahren als Tourist mehrere Tage dort. Ich habe die Freundlichkeit der Menschen genossen. Ich habe Freunden berichtet, dass die Dresdner ein Freundlichkeitsgen hätten. Was treibt die Dresdner jetzt um?
– Zuerst, Dresdner sind freundlich und umgänglich. Des Weiteren ist es beinahe müßig zu erklären, dass was wir sehen auch nur ein bestimmter Prozentsatz Menschen ist, der dort auf die Straße geht um rumkrakeelt und es eine Unzahl Freiwilliger gibt, die still und leise dagegen anarbeiten, dagegen demonstrieren oder sich ehrenamtlich für Flüchtlinge, Bildung und Weltoffenheit einsetzen. Zu analysieren, was die Menschen antreibt sich zur Pegida, zur AfD oder anderen rechtsorientierten Gruppe zu gesellen, sprengt wohl an dieser Stelle den Rahmen. Viele fühlen sich nicht verstanden, oder übergangen, sind mit der Politik nicht einverstanden und finden keine andere Alternative, dies zu äußern, denn viele von ihnen setzen die linken Parteien mit dem Regime der SED in Verbindung. Ein Teil dieser Gefühle ist bis zu einem gewissen Punkt nachzuvollziehen, viele die sich nach der Wende vom Konsum hatten verlocken lassen, mussten erleben wie alles was sie besaßen plötzlich wertlos wurde (dazu gehört z.B. auch die berufliche Anerkennung), wie sie vom „Westen“ fremdbestimmt oder übers Ohr gehauen wurden (bloß als kleiner Fakt: 2017, 28 Jahre nach der Wende, gingen 90% aller verkauften Immobilen in Leipzig an Westdeutsche). Sie vermissen die Sicherheit, die ihnen das Regime der DDR bieten konnte (denn das können Regime, sie bieten Sicherheit für alle die angepasst sind). Und in einem gewissen Maß trägt da auch die Nachkriegsgeschichte ihren Anteil daran. Ein richtiger Demokratisierungsprozess wie in den westlichen Besatzungszonen hat nie stattgefunden. Nach der Wende gingen die Stimmen schnell unter, die einen langsamen Übergang forderten, eine neue Form von Demokratie, nach Wiedervereinigung wurde gerufen und der D-Mark und dementsprechend wählten die Leute (und es wurde ihnen ja auch genau das versprochen).
– Aber wie gesagt, darüber könnte man stundenlang diskutieren, mir persönlich macht diese Entwicklung ziemliche Angst
Kann man Ihre Bücher auch als Mahnung sehen: Das was Ihr Großonkel betrauert hat, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der Anderen. Das findet doch jetzt wieder statt, oder?
– Ich hatte nie im Sinn moralische Traktate zu schreiben, ich habe mir vorgenommen ins Detail zu gehen, einzelne Schicksale möglichst realistisch aufzuzeigen. Da bleibt es jedoch nicht aus, dass man dies als Mahnung sehen kann, oder muss und ich denke mir immer, wenn ich den Lesern gute Unterhaltung bieten kann und sie dazu noch zum Nachdenken anrege, dann habe ich doch auch etwas Gutes getan. Nur so kann man die Leute erreichen, wenn man den Lesern die Vorlage gibt, darüber nachzudenken, wie sie sich in einer solche Lage fühlen würden. Übrigens habe ich, wie ich aus Leserbriefen oder bei Veranstaltungen immer wieder erfahre, auch vielen Westdeutschen geholfen, sich ein klein bisschen mehr in die Ossis hinein zu denken, denn viele haben sich noch nie Gedanken darüber gemacht, was denn eigentlich im Osten Deutschlands nach dem Krieg vor sich ging. (sogar aus Amerika und Großbritannien habe ich diesbezüglich Post bekommen). Auch heute wäre es viel hilfreicher, sich Gedanken über die Zustände im Osten zu machen, zu hinterfragen was die eigentlichen Probleme sind, anstatt zum Beispiel nur auf Sachsen zu zeigen und die drei Millionen Einwohner pauschal als Nazis abzustempeln. Das verursacht nur Trotz und spülte den Rechte noch mehr Wähler zu, während diejenigen die dagegen kämpfen sich zurecht allein gelassen fühlen.
Auf wieviele Bücher sind die Folgen mit Max Heller vorgesehen?
Es werden 7 Folgen werden die den Zeitabschnitt bis 1961 beleuchten.
Wie muss man sich die Rescherchearbeit vorstellen? Sie haben einen Fall?:
Ich kenne einen ehemaligen Polizeikommissar, der ein wandelndes Lexikon in Polizeigeschichte ist. Er hat ein Polizeiarchiv erstellt. Wenn ich den mal telefonisch erwische habe ich eine Liste von Fragen die er mir beantwortet. Alles was ich schildere ist also geschichtlich abgesichert.
Das Gespräch führte Stephan Schwammel
Deutschland hat scheinbar vergessen! Vieles was der Autor uns in seinen realistischen Beschreibungen drastisch vor Augen führt ist erst 70 Jahre her. Not, Zerstörung und damit Elend, Verwahrlosung sind das Ergebnis rassistischer und engstirniger Politik. Deswegen ist das vorliegende Buch ein Mahner! Es mahnt die handelnden Personen zur Weitsicht und zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Frank Goldammer wurde 1975 in Dresden geboren und ist gelernter Maler- und Lackierermeister. Neben seinem Beruf begann er mit Anfang zwanzig zu schreiben, verlegte seine ersten Romane im Eigenverlag. Mit ›Der Angstmann‹, Band 1 der Krimiserie mit Max Heller, gelangte er sofort auf die Bestsellerlisten. Er ist alleinerziehender Vater von Zwillingen und lebt mit seiner Familie in seiner Heimatstadt.
Dresden, Sommer 1948: Während in der Stadt die Wiederaufbauarbeiten nur langsam vorangehen, bekommt es Max Heller in der staubigen Sommerhitze mit dem Fall eines toten Vierzehnjährigen zu tun. Woran er gestorben ist, ist völlig unklar. Wurde er von seinem kriegstraumatisierten Vater zu Tode geprügelt oder hat er die Mutprobe einer Jugendbande nicht bestanden? Niemand scheint sich für den Tod des Jungen zu interessieren. Heller stößt bei seinen Ermittlungen auf eine Wand des Schweigens und wird dabei mit seinem ganz persönlichen Albtraum konfrontiert.
Frank Goldammer: Vergessene Seelen. Ein Fall für Max Heller, DAV, Ungekürzte Lesung mit Heikko Deutschmann, 1 mp3-CD | ca. 10 h 30 min 978-3-7424-0413-8, 19,99 € Wer das Buch gelesen hat, weiß was Krieg und dessen Auswirkungen bedeuten.
Das Buch ist bei DTV erschienen.