Claire Lombardo: Genau so, wie es immer war

Erinnern Sie sich? Die 80er Jahre, Talking Head und deren Song „Once in a lifetime“ mit der Zeile „Same as it ever was“, zu Deutsch: Genau so, wie es immer war? Es gibt weitere Gemeinsamkeiten zwischen diesem Song und dem vorliegenden Roman, wie unbewusst zu leben und keinen Kontext zu Ereignissen in seinem Leben herzustellen, den Dingen ihren Lauf zu lassen, statt aktiv und die treibende Kraft seines Lebens zu sein, und dann die lichten Momente, in denen man sich fragt, wie man an einen – diesen – gewissen Punkt kommen konnte und als Reaktion darauf die Dinge sieht, wie sie sind. Aber man sollte sich von dem etwas angestaubten Titel nicht täuschen lassen: dies ist ein großer Roman, der genug bietet, um den ganzen Sommer zu Weiterlesen

Isabelle Lehn: Die Spielerin

Der Verlag hat sich ins Zeug gelegt, den neuen Roman von Isabelle Lehn optisch ansprechend zu präsentieren. Der Ausschnitt aus Cornelius Völkers Gemälde „Handtasche“ ist meiner Meinung nach gut gewählt: Die Frau auf dem Bild spielt – kokett – mit ihren Reizen, mit einer gewissen Unschuld und gleichzeitig verbirgt sie etwas. Der Verlag hat sich auch nichts unversucht gelassen, auf den Inhalt hinzuweisen und aus den Kommentaren der Schriftstellerkollegen Simon Urban und Daniela Dröscher zitiert. Letztendlich aber, wenn Leserin und Leser das Buch aufgeschlagen haben und mit dem Lesen beginnen, muss die Geschichte überzeugen. Isabelle Lehn hat für diese Geschichte eine Form gewählt, wie sie aus dem investigativen Journalismus bekannt ist, oder wie sie in einem Ermittlungsprotokoll Verwendung Weiterlesen

Geister weinen nicht, Ane Riel

Auf der Rückseite wird der Roman von der Presse als ebenso gewalttätig wie zärtlich beschrieben. Und es stimmt, gefühlsmäßig beinhaltet die Geschichte wirklich alles. Es sind scharfkantige und dennoch liebenswerte Personen, es geht um tiefe Liebe und ebenso tiefen Hass, um Verlust und Wiederfinden. Was aber diesen Roman so einzigartig macht, ist der Spannungsbogen, der bis zur letzten Seite straff gehalten wird. Denn man kann Alma der Protagonistin irgendwie nicht trauen. Ist sie eine Mörderin oder ist sie derart dement, dass sie nur Fantasien hat? Und um diese geniale Geschichte zu erzählen, braucht die Autorin nur ein Haus in einer Sackgasse und ein Ehepaar, Alma und Otto.

Spannend wie ein Krimi, herzzerreißend wie ein Liebesroman, tragisch wie ein Drama. Großartig beschrieben und verdammt gut erzählt!

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Matthias Gfrörer, Gemüse Gut Alles Gut., 100% vegetarische Gemüseküche

Der Titel Gemüse Gut Alles Gut soll sicherlich ein herrliches Wortspiel auf Matthias Gfrörers Gutsküche „Deli und Garten“ in Wulksfelde mit seinem Spitzen-Gutsküchenteam, welches mit einem Michelin-Stern prämiert ist, sein. Umwelttechnisch und gesundheitstechnisch wird von allen Seiten proklamiert, die Ernährung der Zukunft sollte Gemüse- und Obstbasierend sein. Den Luxus Fleisch sollte man sich nur in Ausnahmefällen gönnen. Daher ist es ganz natürlich, dass immer mehr gut ausgebildete Köche, auch aus der Feinschmeckergastronomie, ihr Können in kreative vegetarische bis hin zu veganen Gerichten zeigen. Viele gehen sogar das Wagnis ein, ihr eigenes Restaurant danach zu gestalten. Ein Hoch auf diese Pioniere. In Frankfurt Main hat das schon vor Jahren ein junger Koch Matthias Schmidt in der Villa Merton versucht. Er hat sich noch selbst unter Druck gesetzt, es sollte auch nachhaltig sein. Alle Produkte mussten aus dem Umkreis von 100 Kilometern sein. Es gab nur jahreszeitliche Produkte, Tomaten nur im Sommer, Zitronen und Orangen gar nicht. Er war einer der ersten, der erkannt hatte, wie wertvoll Grünkohl ist und hat ihn Hoffähig gemacht. Leider hat sein Stil nicht überlebt. Dagegen ein sehr positives Beispiel das Seven Swan, das kleinste Restaurant Frankfurts, hat von konventioneller Sterneküche erst auf vegetarische Küche und dann auf vegane Küche umgestellt und ist mehr als erfolgreich und ebenso mit einem Stern prämiert. So ist es eine Freude für mich von Matthias Gfrörer zu lesen, von seinem Gutshofrestaurant, das er mit kreativer vegetarischer Küche betreibt und auch prämiert ist.

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Die Sehenden und die Toten, Ane Riel

Ein guter spannender Krimi mit dem Potenzial eine gute Serie zu werden. Auch wenn einige der beschriebenen Dinge etwas übertrieben anmuten. Denn es ist für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Boshaftigkeit aus allen Richtungen. Etwas weniger wäre bestimmt mehr gewesen. Doch da die Protagonistin Carla Seidel sehr gut ausgearbeitet ist, mit ihrer Vergangenheit und den dadurch nachvollziehbaren Ängsten, ist zu hoffen, dass der zweite Teil der Serie mit weniger Drama auskommt. Ich für meinen Teil freue mich auf ein weiteres Buch mit Wendland-Ermittlerin Carla Seidel und ihrer überaus sympathischen Tochter Lana.

Ein solider Regionalkrimi, der einem gewiss die Zeit vertreibt!

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Jean-Luc Englebert: Ich will ein Schokocroissant. Sofort!

Mit der Figur der kleinen Prinzessin Berti können sich Kinder sofort identifizieren. Sie wollen vieles aber sofort. Wenn das nicht gelingt gibt’s Gebrüll oder andere Formen der Auseinandersetzung. Dabei finden der weibliche Teil der Zuhörerschaft die Idee mit den langen Haaren das Beste. Der männliche Teil favorisierte die Möglichkeit des langen Schlafes.

 

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Thilo Wydra: Alma und Alfred Hitchcock

Es ist immer ein besonderer Augenblick ein neues Buch in den Händen zu halten. Und manchmal – noch vor dem Öffnen des Buches – weiß man intuitiv, dass die Erwartungen und die Ansprüche an das Buch erfüllt werden. So in diesem Fall. Thilo Wydras Doppelbiografie ist eine literarische Pastete: es ist alles drin – Biografie, Geschichte, Liebesroman, Sachbuch, Familiengeschichte, Feminismus, Emanzipation und natürlich Kinogeschichte. Dennoch ist Wydra strukturiert und hat seine Biografie klar gegliedert: Teil I, England, Die frühen Jahre (bis 1938), Teil II, Amerika, Golden Age (bis 1970), Teil III, Der Ausklang, Die letzten Jahre und wie es sich beim Film gehört gibt es einen Abspann und für die Statistiker den Anhang mit Zeittafel, Filmographie, Bibliographie usw. Was mich jedoch noch mehr als alles andere begeistert, ist die spürbare Neugier, mit der sich Wydra auf Spurensuche begibt und dieses komplexe Bild von Weiterlesen

Lina Bengtsdotter, Flammenschwestern, Hochatmosphärischer Thriller

Du kannst der Vergangenheit nicht entfliehen! Ein Hoch an Lina Bengtsdotter, besser, imposanter beeindruckender kann man nicht das Leben und das Erwachsen werden in einem kleinen Dorf in Schweden beschreiben. Da Lina Bengtsdotter in so einer Kleinstadt aufgewachsen ist, hoffe ich nur, dass es nur ein Roman ist und nicht doch autobiographisches dran ist. Die Geschichte spielt in dem schwedischen Dorf Silverbro. In solchen kleinen Orten ist das Gemeinschaftsgefühl stark ausgeprägt, jeder kennt jeden. Bei den Gegebenheiten und Situationen in den einzelnen Häusern kennt man sich aus. Man trifft sich im selben Pub, beim selben Wirt. Duldet die Andersdenkenden, die Abgerutschten, verdrängt die Gerüchte über häusliche Gewalt bis hin zum Missbrauch. Man weiß es, aber spricht nicht drüber. Man mischt sich nicht ein. Die Jugend wächst damit auf, sucht den Halt in den Freundschaften, privaten Feten und im Alkohol. Die Erwachsen erzählen von den vielen Mythen und Sagen, auch von Silverbro, von dem vor Jahren verschwundenen Mädchen Sofia, die nie wieder aufgetaucht ist.

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Ulinka Rublack „Dürer im Zeitalter der Wunder. Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt“

Gastrezension: Dr. Ulrike Bolte

Das Buch ist das Resultat der 15-jährigen Forschungsarbeit der Forscherin aus Cambridge zum Gebiet der materiellen Kulturgeschichte, die in den letzten Jahren erforscht wurde in einer Vielzahl von Disziplinen. Am Beispiel der Entstehung des Helleraltars im Frankfurter Dominikanerkloster von Albrecht Dürer werden nicht nur Form, Farbe, Funktion eines Bildes beschrieben wie in der traditionellen Kunstgeschichte, sondern auch Briefe und Auftragsnotizen zur spannenden Entstehungsgeschichte. Daneben werden Aspekte wie die Kleidung in Dürers Selbstbildnis in der Mittetafel und von dem Auftraggeber Jakob Heller und seiner Frau Katharina Melern aufgegriffen, die analog der zeitgenössischen Kleiderordnungen für das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein ihrer Träger sprechen. Peter Burke, Doyen der Kulturgeschichte in Cambridge schreibt in seinem Buch „Was ist Kulturgeschichte?“ (2004) über Kleidung, Nahrung, Behausung. Innovative Künstler, Handwerker, Kaufleute, Händler, Sammler entwickelten ausgeklügelte Marketingstrategien und Vermarktungsideen auf der Suche nach Status, um auf den internationalen Märkten bestehen zu können. Tiere, Pflanzen und Materialien wie Farben, Federn, Seide oder Tongefäße bekamen eine sinnliche oder kognitive Sinngebung, was Produktion und Konsum beeinflusste.  Der Besuch von Sammlungen, die Reisen dorthin umfasste Wissen, Geschmacksbildung und Affekte und dienten der Vermittlung über Kontinente hinweg. Beim „material turn“ spielt die Interdisziplinarität, die Zusammenarbeit, eine Rolle für die Bedeutung der Objektforschung für Fächer wie Ethnologie, Volkskunde, Technologie, Museologie, Soziologie, Geschichts-, Technik- und Kunstwissenschaft. Weiterlesen

Laura Neumann: Haus aus Wind

Als Theaterautorin hat sich Laura Naumann bereits einen Namen gemacht und wird an großen Häusern aufgeführt. Mit „Haus aus Wind“ präsentiert sie ihr Romandebüt und stellt auch als Romanautorin ihr Gespür für ihre Charaktere und ihren Sinn für Dramaturgie unter Beweis. Auch wenn die Geschichte in einem Surfcamp an der Algarve angesiedelt ist, geht es um sehr viel mehr als nur die perfekte Welle oder gar Surferboys. Naumann lässt ihre Protagonistin Johanna ihrem „Gerd“, einem Stofftier-Hamster und engstem Vertrauten seit den Kindergartentagen, alles was sie bewegt, ihr passiert und sich ereignet, erzählen. Und in Johannas fast 30-jährigem Dasein ist viel passiert, mehr als bei vielen Gleichaltrigen: mit 11 Jahren hat sie ihre Synchronsprecherinnenkarriere Weiterlesen