Dass schwedische Autorinnen und Autoren mehr können, als spannende Krimis und Thriller zu schreiben, beweist Karolina Ramqvist mit ihrem neuen Roman „Brot und Milch“ auf sehr eindrucksvolle Weise. Sie erzählt die Geschichte der namenlosen Protagonistin, „die Frau, die sich erinnert“, in der Ich-Form. Besser kann man eine Geschichte über das Essen und seine Auswirklungen auf einen Menschen wohl auch kaum schreiben und die Grundlage dafür ist Ramqvists suggestive, einzigartige Sprache. Für mich fühlt es sich an, als würde ich in einem riesigen Supermarkt herumlaufen, in dem alle Sinne angesprochen werden. Aber je weiter ich gehe, desto furchteinflößender werden die Schatten in den Ecken.
Das Mädchen im Buch hat Angst. Vor allem hat sie Angst vor dem Alleinsein, da sie weiß, dass sie es sein wird, wenn Mama Pfannkuchen backt. Sie riecht den Pfannkuchenteig, der auf die Butter in der Pfanne trifft, und der Panikreflex ist sofort da. So legt Ramqvist mit ihrer Sprache, die wie ein cooles Uhrwerk läuft, unterschiedliche Kindheitserlebnisse zwischen Sicherheit und Horror frei.
Allerdings verlässt sich Ramqvist nicht nur auf ihre sprachliche Begabung und die positive Wirkung von leckeren Speisen, sondern erzählt auch die komplexe Geschichte einer Mutter-Tochter-Beziehung.

Foto: Thron Ullberg
Karolina Ramqvist, geboren 1976, ist in Schweden eine der einflussreichsten Autorinnen ihrer Generation, deren umfassendes Werk internationale Beachtung gefunden hat. Sie wurde unter anderem mit dem Per-Olov-Enquist-Preis ausgezeichnet. Sie lebt in Stockholm.
Michaela Grabinger hat für Kein & Aber mehrere Romane übersetzt, u. a. von Elif Shafak, Anne Tyler, Helen Simpson und Russell Franklin.
Eine Frau erinnert sich an die Mandarinen, die sie als kleines Mädchen eine nach der anderen fast wie in Trance vor der geschlossenen Schlafzimmertür ihrer Mutter verspeiste. Sie erinnert sich an den buttrigen Milchreis, den ihre Großmutter kochte. Und an den Teller Pfannkuchen auf dem großen weißen Tisch, der sie wissen ließ, dass sie die Nacht wieder allein verbringen müsste. In ihren sinnlichen, kraftvollen und meditativen Reflexionen schafft Karolina Ramqvist eine suchende Erzählung darüber, was Essen mit Verletzlichkeit, dem Erbe von Müttern und Töchtern und unserer Fähigkeit zu lieben zu tun hat. Eine komplexe, persönliche und zugleich zutiefst universelle Geschichte darüber, dass uns das, was uns zu erfüllen vermag, auch verzehren kann. Mit Karolina Ramqvist ist eine der wichtigsten schwedischen Gegenwartsautorinnen endlich auf Deutsch zu entdecken.
S.Fischer Verlag – gebunden – 320 Seiten – 26,00 € – ISBN 978-3-1039-7565-9