Yaniv Iczkovits: Fannys Rache

Yaniv Iczkovits Roman ist wie das pralle Leben und ihn auf ein Genre zu reduzieren, würde diesem Werk nicht gerecht werden. Sicher, es ist ein Historienroman, immerhin spielt er im 19. Jahrhundert. Iczkovits ist sogar präzise: die Geschichte beginnt am 8.2.1894, es ist ein Freitag, und ist in 12 Teile gegliedert mit Angabe des genauen Datums. Die Geschichte ist also im zaristischen Russland Nikolai I. angesiedelt. Die jüdische Bevölkerung leidet unter Diskriminierung und Ausgrenzung und die gesamte Bevölkerung unter Ausbeutung, Denunzierung und den Schergen des Zaren – den Agenten der Ochrana, der Geheimpolizei. Da hätten wir dann den Agententhriller. Sie halten die Menschen in Schach, vermuten hinter jedem Baum einen Spitzel oder Attentäter und gehen hart vor. Der Roman ist aber auch eine Erzählung der Familientragödie, die die Schwestern Mende Speisman und Fanny Kajsman ereilt. Es geht um Rache, Verschwörung und Blutdurst und – um Feminismus. Denn es ist Mendes Schwester Fanny, keine gewöhnliche Frau, mit der nicht gut Kirschen essen ist, die mit dem Messer geschickt ist, da sie von ihrem Vater, einem Schächter, das Handwerk gelernt hat, und die beschließt, den abtrünnigen Schwager, der sich nach Minsk abgesetzt haben soll, ausfindig zu machen und ihn zurück nach Motele zu bringen, damit er Mende den Scheidungsbrief gibt und diese ihr Leben regeln kann. Denn zu dieser Zeit kann nur der Mann sich offiziell trennen. Sollte ein Mann unbekannt verziehen, muss er keinen Unterhalt für Frau und Kinder zahlen. Mende teilt dieses Schicksal mit vielen Frauen auf der ganzen Welt. Bis zumindest in Deutschland die Meldepflicht eingeführt wird. Und schon sind wir mitten im Roadmovie. Fannys Abenteuer stehen denen von Thelma und Luise in nichts nach, auch sie und ihr Begleiter Cecik, der Fährmann, werden von der Polizei gejagt. Zugegeben, 608 Seiten wollen erst einmal gelesen sein, aber Iczkovits hat viel zu erzählen, und hält den Leser mit überraschenden Wendungen und tollen Charakteren bei der Stange. Wer sich vor dem Volumen des Buches nicht fürchtet, eintauchen will in eine fast mythologische Geschichte und das Leben der Menschen im 19. Jahrhundert und schwarzen Humor mag, kommt voll auf seine Kosten. Denn: Es könnte so gewesen sein, aber wenn es das nicht war, ist es großartig und fantasievoll, erfunden.

Foto: E. Sultan

Yaniv Iczkovits (geboren am 2. Mai 1975) ist ein israelischer Autor, der für seine Romane, Essays und philosophischen Werke bekannt ist. Sein 2015 erschienener Roman Fannys Rache wurde in mehrere europäische Sprachen übersetzt und von den Kritikern gewürdigt.

 

Fanny Kajsman hat genug. Ihr nutzloser Schwager ist nach Minsk abgehauen und hat ihre Schwester im Schtetl zurückgelassen. Kurzerhand trifft Fanny eine skandalöse Entscheidung: Sie wird ihren Schwager eigenhändig zurückholen.

Bewaffnet mit einem Schlachtermesser und einer gehörigen Portion Starrsinn bricht sie auf, aber die Straßen des Russischen Kaiserreichs sind gefährlich. Als sich ihr der stumme Fährmann Cicek Berschow anschließt, ist sie dankbar um die Begleitung. Doch ein Schlamassel jagt das nächste, Fannys schlichter Plan wächst sich zu einer mittelgroßen Katastrophe aus und bringt bald die Grundfesten des Russischen Reiches ins Wanken.

Unionsverlag – gebunden – 608 Seiten – 28,0 € – ISBN 978-3-2930-0610-2

 

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