Ein Sternerestaurant: Die üblichen Adrinalinjunkies in der Küche, um den schnellen, perfekten und präzisen Handgriffen und vor allem dem Maître Daniel Costello gerecht zu werden. Bei Fehlern fliegen schon mal Saucieren, heiße Pfannen und vor allem übelste Schimpfworte. Für die Mädels im Service ist es auch nicht immer einfach, denn aus der bereits recht sexistischen Anrede ›Süße‹, wird dann auch schnell mal ›Schlampe‹. Doch die jungen attraktiven Studentinnen Anfang zwanzig, die hier bedienen, verdienen erstens gut und zweitens bewegen sie sich unter der sogenannten gesellschaftlichen Crème de la Crème, die ihre Gäste nun mal sind. Da hält man schon mal eine unangenehme Annäherung und unangemessene Titulierung, egal ob von den Kollegen oder männlichen Gästen, aus. Denn wenn alles glatt läuft, fließt nach Feierabend für die Mannschaft der Alkohol aufs Haus und einige Kollegen spendieren die eine oder andere Linie Koks. Für die jungen Frauen, ein Leben in einer Parallelwelt: höchste Konzentration für Stunden, dann die Erleichterung, wenn die Schicht vorbei ist, Alkohol, Schlafen, der Kater und es geht vorne los. Wenn in dieser Welt ein #Metoo gegen den Sternekoch Daniel veröffentlicht wird, sich weitere drei Frauen anschließen und es vor Gericht geht, dann ist die Situation nicht einfach zu beurteilen.
So wird die Geschichte aus der Sicht von drei Personen erzählt. Von Daniel, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird, Julia seiner Frau und einer ehemaligen Servicekraft Hanna. Nur ist Hanna keine der Frauen, die sich über #Metoo gemeldet haben, sie arbeitet eine Weile für Daniel und kündigte vor zehn Jahren sehr plötzlich.
Es ist ein so spannendes Buch, dass man Schwierigkeiten hat, es aus der Hand zu legen. Die Autorin spielt mit den drei Sichtweisen, die immer als vollständiges Kapitel getrennt sind. So erfährt man von Daniel dem Sternekoch, was das Kochen und das eigene Restaurant für ihn bedeutet, von Julia, was Daniel für sie bedeutet und von Hanna, die Schritt für Schritt erzählt, wie es für sie vor zehn Jahren war. Als Leser ist man hin- und hergerissen, welche Position man einnehmen soll, wer ist Opfer, wer ist Täter? Und wirklich erst auf den letzten Seiten nimmt das psychologische Spiel ein traumatisches Ende. Dieses Buch ist nicht nur vom Inhalt und Aufbau erste Sahne, auch der Schreibstil ist präzise und auf den Punkt, als wäre es ein Michelinsternegericht!
Autorinnenfoto: ® Copyright: Seamus Travers
Sarah Gilmartin ist Autorin und Journalistin. Ihre Texte erschienen unter anderem bei The Dublin Review, New Irish Writing und The Tangerine. Ihr Debütroman Dinner Party war auf der Shortlist für den Irish Book Award und den Kate O’Brien Award 2022. Mit Service erscheint bei Kein & Aber ihr erstes Buch in deutscher Übersetzung. Sarah Gilmartin lebt in Dublin.
Klappentext von Kein&Aber: Als Hannah von ihrer früheren Kellnerkollegin Mel gebeten wird, als Zeugin in einem Gerichtsverfahren gegen ihren ehemaligen Chef Daniel Costello aufzutreten, lehnt sie zunächst ab. Dem renommierten Sternekoch werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Trotz ihrer anfänglichen Weigerung, auszusagen, kann Hannah sich ihrer Vergangenheit nicht entziehen und entscheidet sich um. Währenddessen ist Daniel fassungslos: Sein Restaurant wird geschlossen, die Anwälte sitzen ihm im Nacken, im Internet und vor der Haustür wird er attackiert. Jahrzehntelange harte Arbeit und all die Bemühungen, Anerkennung für sein Talent zu erlangen, sollen umsonst gewesen sein – wegen eines Vorfalls, an den er sich kaum erinnert. Zugleich muss seine Frau Julie, bedrängt von Journalisten und Paparazzi, der Verunsicherung nachgeben und sieht sich gezwungen, ihre Ehe und ihr ganzes Leben infrage zu stellen. All die Jahre, in denen sie versuchte, eine unterstützende Ehefrau und eine gute Mutter zu sein, geraten plötzlich ins Wanken.
Eschborner Stadtmagazin: Gerade in der Sterneküche geht oder ging es früher schwer zu Sache. Der Umgangston mehr als rau, definitiv sexistisch und die Arbeitsbedingungen so stressbelastet, dass viele dem Druck nicht standhalten können. Endlich vollzieht sich einen Wandel, denn immerhin gibt es in Deutschland mittlerweile siebzehn Sterneköchinnen und das Arbeitsklima ist dort ein anderes. Auch sind die jüngeren der männlichen Starköche nicht mehr an cholerischen Ausfällen interessiert. Es sind eher ruhige Individualisten, die das durch ihre auffälligen Tattoos zeigen.
Doch bei Vertretern des alten Regimes, wie Daniel Costello einer ist, entstehen unakzeptable Situationen, die durch die Höchstleistungen, den Stress und das enge miteinander entschuldigt werden. Auf der anderen Seite, erleben die jungen Frauen im Service einen Höhenflug in einer Glitzerwelt, fliegen im Windschatten des mächtigen Küchenchefs mit und fühlen sich geschmeichelt durch seine Aufmerksamkeit. Wie will man urteilen, wenn das Unsagbare passiert? Sarah Gilmartin arbeitet mit den Stilmitteln, die Julie Zeh gerne benutzt. Sie weckt den Zweifel im Leser, vor allem der Leserin. Mal schlägt man sich auf die Seite des potenziellen Opfers, mal auf die Seite des potenziellen Täters. Bis zum Ende, wenn sich plötzlich alles klar darstellt, muss man vorher die Bitterkeit spüren, die als Sympathie für den Täter bezeichnet werden kann. So formen alle drei Erzähler der Geschichte, Hanna, Julie und auch Daniel das Gewissen des Lesers, der sich von einem Kapitel zum anderen entscheiden muss. Daher ist das Buch manchmal nicht einfach auszuhalten.
Dennoch ist das Buch ein enormes Highlight, wenn es um das Thema #Metoo geht. Es ist klug, raffiniert und erfasst die Emotionen jeder Partei bis ins Kleinste. Meiner Meinung nach wird das ein Bestseller!
Service, Sarah Gilmartin, Kein&Aber Verlag, gebundenes Buch, 320 Seiten, ISBN 978-3-0369-9642-4, Euro 24,00, erschienen 29.02.2024, aus dem Englischen von Anna-Christin Kramer.