Saralisa Volm: Das ewige Ungenügend

Im Oktober 2022 habe ich an dieser Stelle das Buch Hätte ich Dein Gesicht von Frances Cha vorgestellt und gedacht, gut, das ist Korea, bei uns in good old Germany ist die Welt noch in Ordnung. Saralisa Volm lehrt mich eines Besseren. Sie „kotzt“ sich aus: in ihrer Jugend, als sie unter Bulimie leidet, heute, wo sie ihre Wut auf das Establishment, das Patriarchat, den Schönheitswahn, den Kapitalismus (keine Sorge, sie steht nicht in Verdacht ihn abschaffen zu wollen) oder „die Erwartungshaltungen an unseren Körper“ rauslässt. Volms Kritik und Gegner sind hinlänglich bekannt. Ein Unterschied zu anderen Veröffentlichungen ist, dass sie dabei erfrischend ehrlich und mutig ist – auch wenn es persönlich wird. Bisweilen, für meinen Geschmack, wird es etwas zu ausführlich, wenn sie beschreibt, wie, wann und mit welchem technischen Hilfsmittel es zu ihrem ersten Orgasmus gekommen ist, oder berufsbedingt Softpornos schaut. Nun, Sex sells, das haben mittlerweile auch Frauen kapiert. Die Autorin arbeitet in der Filmbranche als Schauspielerin und Produzentin. Eine Branche, die nicht für Zimperlichkeit bekannt ist und dem Jugendwahn frönt. Im Monumentalfilm „Alexander“, spielt die damals 36jährige Angelina Jolie die Mutter des erwachsenen Alexander dem Großen. Colin Farrell, der Alexander darstellte, war zu dem Zeitpunkt 35. Volm ist 38 Jahre alt. Dass sie nicht nur an die Optimierung ihres Aussehens zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes denkt, beweist ihre Courage sich auf neues Terrain zu begeben und auszuprobieren: Regie führen, ein Buch schreiben. Als Regisseurin hat sie die Macht, Rollen ihren Ansprüchen entsprechend zu besetzen und als Autorin kann sie Charaktere erschaffen, die Schauspieler:innen jesenseits der 40 auf den Leib geschrieben sind. Seien wir gespannt auf die nächsten Projekte von Frau Volm.

Foto: Svenja Trierscheid

Saralisa Volm, geboren 1985, ist Schauspielerin, Regisseurin und Filmproduzentin. Als Kunsthistorikerin lotet sie in ihrer Arbeit immer wieder die Grenzen zwischen Film, Text und bildender Kunst aus. Mitte der Nullerjahre wurde sie von Regisseur Klaus Lemke entdeckt. 2022 war sie im preisgekrönten Kinofilm „Als Susan Sontag im Publikum saß“ (Regie: RP Kahl) als Germaine Greer zu sehen. Bei diesem Film war sie auch als Drehbuchautorin beteiligt. Ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin, „Schweigend steht der Wald“, feierte bei der Berlinale 2022 seine Premiere.

Wie viel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau? Wie viel Botox kann ich meiner politischen Haltung zumuten? Wie viel Hängebrust ertragen? Saralisa Volm steckt mittendrin im Schönheitswahn. Es ist Zeit für körperliche Selbstermächtigung, besseren Sex, echte Wut, entspanntes Altwerden und dafür, endlich nein zu sagen.

Ullstein – gebunden – 272 Seiten – 21,99 € – ISBN 978-3-550-20175-2