Rotwild ist der zweite Band um die Polizistinnen Sanna und Eir, die auf einer Insel an der schwedischen Küste ermitteln. Das Debüt Fuchsmädchen wurde wohlverdient gelobt und führte uns bereits in die hochinteressanten, wenn auch schwierigen Charaktere der beiden Ermittlerinnen ein. Rotwild hat mir noch einen Tick besser gefallen als der erste Band, denn er beschäftigt sich mit der Verrohung der Menschen in Zeiten, in denen viele die Hoffnung auf Frieden in der Welt verloren glauben. Daher schafft die Autorin auch einen politischen Hintergrund, der eher fiktiv ist und nicht klar geschildert. Sie spricht immer wieder von den Aufständen der Bürger auf dem Kontinent, von brennenden Häusern, bezieht sich aber nicht explizit auf den Russland-Ukraine-Krieg. Jedoch ist der Hintergrund, der zum Verfalls menschlicher Moral und gesellschaftlichen Miteinanders notwendigerweise führt, beschrieben, um die Geschichte verständlich zu machen. Denn wer könnte sonst die Motive der mordenden, kaltschnäuzigen Gruppierungen nachvollziehen, hinter denen Eir und Sanna dieses Mal her sind. Und zu guter Letzt ist da auch noch die nicht ganz geklärte Geschichte von Jack Abrahamsson, dem psychopathischen jugendlichen Mörder vom ersten Band.
Ich habe einige Rezensionen gelesen und war erstaunt, dass Rotwild nicht so viel Anklang bekam wie Fuchsmädchen. Ich sehe es genau anders herum. Rotwild übertrifft seinen Vorgänger um Längen. Wo Fuchsmädchen ein reiner Thriller war, ist Rotwild viel mehr. Es ist immer noch ein super Thriller, aber auch eine Sozialstudie darüber, wie verängstigte Erwachsene und verrohte Jugendliche eine Gesellschaft ins Chaos stürzen können.
Autorinnenfoto: Copyright ® Katarina Grip Höök
Maria Grund wurde in einem Vorort von Stockholm geboren. Sie arbeitete viele Jahre als Drehbuchautorin in London und New York und lebt heute auf der schwedischen Insel Gotland. Ihr großes Thriller-Debüt »Fuchsmädchen« wurde für den Crimetime Award nominiert sowie von der Swedish Academy of Crime Fiction als bestes Debüt des Jahres ausgezeichnet. In Deutschland stürmte »Fuchsmädchen« sofort die SPIEGEL-Bestsellerliste.
Eine Gruppe Mädchen auf Motorrädern melden einen nackten Mann in den Wäldern. Er soll sich eigenartig verhalten und in einer verlassenen Hütte hocken. Sanna gehört nach dem brutalen Mordfall um Jack Abrahamsson nicht mehr der Kriminalpolizei an. Sie ist nach ihrer psychologischen Betreuung zur Dorfpolizei versetzt und kümmert sich um Bagatelldelikte. Als Sanna bei der Motorradgang ankommt, findet sie jedoch keine Exhibitionisten, sondern einen tödlich verletzten jungen Mann, der in ihren Armen stirbt. Seine letzten Worte sind: „Das Mädchen …“
Kurz darauf findet man in der Nähe die Leiche des vermissten Sensationsreporters Axel Orsa. Sanna wird sukzessive wieder in die Ermittlungen der Kripo gezogen, denn ihr neuer Vorgesetzter Niklas schätzt ihre Methoden, und Sannas Art zu denken. Eir und Sanna sind ein unschlagbares Team, auch wenn die beiden Frauen ihre eigenen Geister bekämpfen müssen. So fühlt sich Sanna beobachtet. Sie muss dabei immer wieder an den psychopathischen Jungen Jack denken, obwohl er tot sein soll. Und Eir ist eigentlich sehr glücklich mir ihrer Beziehung zu dem Kriminalpathologen Fabian, doch hat panische Angst vor zu viel Nähe. Für beide ist die Arbeit ein Weg, sich ihren Problemen zu entziehen. So konfrontieren sie sich lieber mit skrupellosen Jugendlichen, völlig verrohten Aussteigern und Mördern, als sich mit ihren eigenen Problemen zu beschäftigen.
Nicht falsch verstehen, es ist ein superspannender Thriller, aber mit politischem und menschlichem Tiefgang. Man merkt die Sorge der Autorin, um die Entwicklung in Schweden. Einem Land, dass immer Vorreiter war bei der Gleichberechtigung der Frauen und bei der Flüchtlingspolitik. Doch die liberale Gesellschaft hat einen Schwenk nach rechts erfahren bei den letzten Wahlen und die Angst, was noch mit den Menschen passieren könnte, verarbeitet Maria Grund vorzüglich in ihrem Thriller Rotwild.
Rotwild, Maria Grund, Penguin, Klappenbroschur, Seiten 416, ISBN: 978-3-328-10706-4, Euro 15,00, erschienen 18.01.2023, aus dem Schwedischen von Sabine Thiele.