Revol Rossel war ein sehr begnadeter Violinist, bevor seine Familie den politischen Ränkespielen der Stalinisten in die Hände fiel. Und so fielen im wahrsten Sinne des Wortes seine eigenen Hände dem Folterer, Major Nikitin von der Staatssicherheit zum Opfer. Mit verkrüppelten Fingern war seine Leidenschaft, die Musik, vorbei. Rossel wurde Polizist und landete nach einem spektakulären Fall, den er mit Major Nikitin gegen den Chef des Geheimdienstes Beria führte, im Gulag. Dort geht es dem ehemaligen Leutnant der Miliz nur noch ums nackte Überleben. Revol ist dem Tod durch Verhungern, Erfrieren oder durch die Wori-Mafia nah, als Oleg Nikitin plötzlich in der Gulaghölle auftaucht und ihn rausholen will. Auf seine Frage, warum er in den Gulag gekommen ist, sagte Nikitin: »Warum sollte ich dich wohl schon brauchen? Es ist jemand ermordet worden.«
Und wieder arbeitete beide, als Zweckgemeinschaft des Hasses miteinander, um einen Serienmörder 1953 in Leningrad auszuschalten. Dass ihre Ermittlung genau in das politische Wespennest aus Staatssicherheit, militärischem Geheimdienst und Genosse Stalin selbst, sticht, ist nicht erstaunlich. Wenn jemand wie Revol Rossel von der Leine gelassen wird, dann ist die Lage hochexplosiv.
Autorenfoto: Copyright ® Libi Pedder
Ben Creed ist das gemeinsame Pseudonym von Chris Rickaby und Barney Thompson. Chris wurde in Newcastle geboren. Er arbeitete für verschiedene Fernsehsender, bevor er seine eigene Marketing- und Medienagentur gründete.
Barney absolvierte eine Ausbildung als klassischer Musiker absolviert studierte zwei Jahre am Konservatorium in St. Petersburg, bevor er zum Journalismus wechselte. Er arbeitet heute als Lektor und Redenschreiber für das UN Flüchtlingshilfswerk.
Wie kann man mit jemand zusammenarbeiten, den man abgrundtief hasst, der einen verstümmelte und für immer das Spiel auf der geliebten Violine nahm. Oleg Nikitin, der Folterer des MGB, der behauptet nur seinen Job gemacht zu haben. Der jetzt auch noch darauf beharrt, dass er Rossel im Gulag verschwinden ließ, um ihn vor Beria und damit dem sicheren Tod zu beschützen. Kann man so jemand trauen? Aber wem kann man im stalinistischen Russland überhaupt trauen. Die Augen der Staatssicherheit, des militärischen Geheimdienstes und auch der Nachbarn, die zu gerne denunzieren, wenn der Neid geweckt ist, sind überall. Durch seine bitteren Erfahrungen und dem Überlebenskampf im Gulag ist Rossel das Vertrauen abhandengekommen. Doch bei Ermittlungen hat er dadurch auch die entsprechende Ruhe und das richtige Auge für außergewöhnliche Dinge. Er sieht an Tatorten, was andere übersehen.
Ein Serienmörder geht in Petersburg um. Es sind immer zwei präzise Schüsse in den Kopf, eine herausgeschnittene Zunge, ein Goldmedaillon und eine Botschaft im Rachen der Opfer. Plötzlich winden sich die Geheimnisse um eine Wagner-Partitur, Machiavellis Büchern, einem Verrat und um ein wissenschaftliches Dokument. Dabei begegnet Revol Rossel nicht nur Chruschtschow, sondern muss auch zu einer Unterredung mit Albert Speer in das Gefängnis Spandau. Nichts ist wirklich so, wie es scheint und dann wird aus dem Serienmord ein zweiter viel brisanter Fall.
Auch das zweite Buch von dem Autorenduo Ben Creed mit dem überaus sympathischen Protagonisten Revol Rossel ist sehr gelungen. Ich würde mir nur für das nächste Buch ein kleines Glossar wünschen, in dem Abkürzungen wie GRU oder MGB und vielleicht auch Namen mit den Titeln versehen sind. Das erleichtert das Lesen, ohne googeln zu müssen und man kann sich ganz auf einen spannenden, historischen Thriller aus der Nachkriegszeit Leningrads konzentrieren.
Das dunkle Lied der Toten, Ben Creed, Knaur, Taschenbuch, Seiten 400, ISBN: 978-3-462-52664-4, Euro 14,99, erschienen am 30.12.2022.
Übersetzt von Peter Hammans