Hinter diesem dynamischen Titel verbergen sich Tagebucheintragungen der Meisterin der Kurzgeschichten, dem damaligen Star der Londoner Literaturszene: Katherine Mansfield. Und all das, was der Titel impliziert, findet man in den Aufzeichnungen einer außergewöhnlichen Frau, die für ihre Freiheit kämpfte und gegen die diagnostizierte Tuberkulose anschrieb. Auch wenn ihr nur eine Lebensdauer von 34 Jahre vergönnt war, füllte sie diese Zeit bis an den Rand. Mansfield gehörte zur verlorenen Generation des 1. Weltkrieges. Keiner ihrer männlichen Freunde, die an die Front gingen, kehrte zurück. Der Verlust ihres geliebten, jüngeren Bruders, der ebenfalls nicht von der Front zurückkehrte, traumatisierte sie. Und wie tragisch, dass sich ihre schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten und sie nur ein überschaubares, vollendetes Werk hinterließ.
Kathrine Mansfield (1888–1923), aufgewachsen in der Kolonialwelt Neuseelands zwischen Maori-Bräuchen und Cellospiel, beginnt schon im Mädchenalter zu schreiben, entflieht, kaum volljährig, ihrer Familie nach London, wird schwanger, erleidet in Bad Wörishofen eine Fehlgeburt, wird zum Star der jungen Literaturszene und stirbt mit nur 34 Jahren in Fontainebleau. Ihr schmales Werk zählt zur modernen Weltliteratur
Und so interessiert an den Tagebucheintragungen weniger die Qualität des Geschriebenen, noch das Ausmaß ihres Ruhms, sondern das Spektrum ihres Verstandes – ein sehr sensibler Verstand. Und nach und nach erhält man willkürliche Eindrücke ihres Lebens. Ihr Tagebuch war ein treuer Begleiter der letzten Lebensjahre. Und so stellt sie einem neuen Band folgendes voran: „Komm mein Unsichtbarer, mein Unbekannter, lass uns reden“. Die Einträge umfassen das Wetter, Analysen ihres Charakters, Ideen und Gedanken zu neuen Geschichten, sie beschreibt eine Taube oder einen Traum. Nichts könnte bruchstückhafter, nichts privater sein. Katherine Mansfield kommt mir immer ein bisschen einschüchternd vor. Aber in dem Tagebuch liest sie sich wie eine reale Person, noch dazu wie eine überraschend moderne. Die Autorin nutzt ihr Tagebuch zur Reflektion: Schreiben und die Rolle der Wahrheit, der Kampf des Verstandes, Krankheit und Körper, Suche nach Richtung… Gedanken, die in all den Jahrzehnten nichts an Aktualität verloren haben und Grund genug dafür sind, sie zu lesen.
Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt »Altes Landwurde 2015 zum »Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels« und zum Jahresbestseller 2015 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr zweiter Roman »Mittagsstunde« erschien 2018, wurde wieder zum SPIEGEL-Jahresbestseller und mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. 2022 erschien ihr dritter Roman »Zur See«. Dörte Hansen, die mit ihrer Familie in Nordfriesland lebt, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022.
Irma Wehrli, geboren 1954, ist seit 1984 freie Übersetzerin und widmet sich mit Vorliebe den Klassikern der englischen und US-amerikanischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. 2011 erhielt sie das Zuger Übersetzerstipendium für ihre Arbeit an Thomas Wolfes „Of Time and the River“.
Manesse Verlag – gebunden – 384 Seiten – 22 € – ISBN 978-3-7175-2482-3