Die wunderbare, bildhafte Sprache lässt Bilder in einer Geschwindigkeit entstehen, die atemlos macht, wodurch „Die Idealisten“ als Einschlaflektüre ausfallen. Es empfiehlt sich das Buch aufmerksam zu lesen und nicht der Versuchung zu erliegen, die Seiten schneller umzuschlagen. Einzig bei den Beschreibungen der Gewalttaten nimmt der Erzähler Tempo raus. So wie dem Ich-Erzähler wird auch dem Leser alles abverlangt, wenn der Erzähler sich mal als Ich, Du und dann als Wir vorstellt. Und so verwundert es auch nicht, dass ein Mann, der sich als Mann mit zwei Gesichtern sieht, immer wieder unvermittelt in Tränen ausbricht, weil er für alle Seiten – Kommunisten, Kapitalisten – Kolonialisten – Sympathien aufbringt und darüber sinniert: „Die Jahre als Spion, Schläfer und Maulwurf hatten mich einem so großen Stress ausgesetzt, dass das Gewinde meiner Schraube jetzt ausgeleiert war. Solange sie fest angezogen gewesen war, hatten meine zwei Seelen einigermaßen gut zusammengearbeitet. Jetzt drehte meine Schraube durch – der allgemeine Zustand der Menschheit – und saß nicht mehr fest.“
Der Autor Viet Than Nguyen kam 1975 als Flüchtling mit seiner Familie von Vietnam nach Pennsylvania, USA, lehrt mittlerweile Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaften an der University of Southern California. Für seinen Debüt-Roman „Der Sympathisant“ erhielt er 2016 den Pulitzer-Preis für Belletristik. Auch wenn „Die Idealisten“ die Fortsetzung des Erstlingswerkes ist, muss man den ersten Roman nicht gelesen haben, um den zweiten zu verstehen. Roman und Leser profitieren gleichermaßen von verschiedenen Rückblenden.
Den Protagonisten, dem namenlosen Ich-Erzähler und dessen besten Freund und Blutsbruder Bon wird alles abverlangt: Doppelspionagetätigkeit in den USA, von der Bon, ein Kommunistenhasser nichts weiß und nie erfahren darf, Umerziehungslager in Vietnam, in dem er sein Leben aufschreibt: dieses Buch. Das Lager überlebt er genauso wie die Flucht über die Weltmeere, um dann im Paris der 1980iger Jahre zu landen. Bei seiner Tante findet er eine Bleibe und Zugang zur linken Kulturelite, der er später Drogen verkauft, seine „Art es den Kapitalisten ordentlich heimzuzahlen“. Und im schlechtesten Asia-Restaurant von ganz Paris bekommt er einen Job als Klo-Putzer. Dort macht er Bekanntschaft mit dem kapitalistischsten aller Wirtschaftszweige: dem illegalen Drogenhandel. Hatten die US-Amerikaner sein Heimatland mit dem Vietnam-Krieg überzogen, von den Vietnamesen „American War“ genannt, so ist er jetzt im Land der Kolonialisten, im Land seines Vaters, eines französischen Geistlichen, der seiner minderjährigen vietnamesischen Mutter ebenso Gewalt angetan hat und es als missionarisch-zivilisatorischen Akt bezeichnet, wie Frankreich, als man Indochina kolonialisierte.
Viet Than Nguyen: Die Idealisten: Blessing Verlag, aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller, Originaltitel: The Committed, Hardcover mit Schutzumschlag, 496 Seiten, 1 s/w Abbildung, ISBN: 978-3-89667-595-8, 24,00 €