Laura Noll: Der Tod des Henkers; Interview mit der Autorin

Wer das Buch in die Hand nimmt, und sich ein wenig in der deutschen Geschichte auskennt, wird allein schon vom Umschlagsfoto erkennen, um welche Geschichte es sich handelt: Das Attentat 1942 im Mai auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich. Die Autorin versteht es, diese Tat in Romanform einer griechischen Tragödie zu erzählen. Zwei Herrscher, Hitler und der damalige tschechische Exil Ministerpräsidenten Beneš wollen ihre Politik durchsetzen. Beneš lässt Heydrich ermorden. Was dann folgt, ist ein Tiefpunkt in der deutschen Geschichte die auch nach 1945 vielen zehntausende Menschen das Leben kostete. Die Autorin hat intensiv recherchiert und eine Vielzahl der noch vorhandenen Unterlagen in ihrem Buch eingearbeitet. Die fiktiven Gestalten und ihre Handlungen erhöhen die Spannung und machen das Buch besonders lesenswert.

Laura Noll
Foto: Dana Maiterth

Laura Noll wurde 1980 in Heidelberg geboren, studierte Klassische Philologie, Alte Geschichte und Theologie in Heidelberg und Siena. Mit ihrer Familie lebt sie in Sinsheim. Ihre Leidenschaft für Zeitgeschichte vereint sich mit der Freude am Erzählen und ist Inspiration für die Erzählungen und Kurzgeschichten. »Der Tod des Henkers« ist ihr erster Roman. Er wurde mit dem Arbeitsstipendium der Mörderischen Schwestern e.V. ausgezeichnet.

Prag, Mai 1942: An einem sonnigen Morgen detoniert eine Handgranate neben der Limousine Reinhard Heydrichs. Als der „Henker von Prag“ acht Tage später seinen Verletzungen erliegt, plant das NS-Regime bereits blutige Rache an der tschechischen Bevölkerung. Gestapo-Kommissar Pannwitz wird mit den Ermittlungen zu dem Anschlag betraut. Er kämpft darum, die wahren Täter zu finden, um Tausende Unschuldige vor den barbarischen Vergeltungsmaßnahmen der Nazis zu retten, doch der Fall führt ihn an die Grenzen seiner eigenen Menschlichkeit.

Im Nachwort gibt die Autorin Einblick in ihre Recherchearbeit und die Lebensläufe der im Buch genannten Protagonisten.

Laura Noll: Der Tod des Henkers, Gmeiner Verlag,  416 Seiten, Klappenbroschur,  ISBN 978-3-8392-2700-8, Buch 18,– € / E-Book 12,99

Fragen an die Autorin:

Was hat Sie bewogen diesen Teil der dunklen deutschen Geschichte in einem Roman zu verarbeiten?

Auf die Bearbeitung des Falls Heydrich durch den Gestapo-Kommissar bin ich mehr oder weniger zufällig im Zuge von Recherchen zu einem anderen Sachverhalt gestoßen. Dass die Erinnerung an diese dunkle Zeit und die Methoden, mit denen die Besatzer gegen die Bevölkerung in Prag vorgegangen sind (und das natürlich nicht nur im Zuge der Aufklärung des Attentats!) einerseits wachgehalten werden soll, ist die eine Sache. Was mich aber besonders gereizt hat, war der Konflikt, der sich in Pannwitz selbst abspielt. Nach Auskunft des Personenlexikons des 3. Reiches war der Mann studierter Theologe aus dem Umfeld Bonhoeffers und der Bekennenden Kirche. Andererseits ist er bereits in den frühen 1930er Jahren in den Polizeidienst eingetreten und hat die politische Entwicklung und den Umbau des Staatsapparates nach der Machtergreifung ja sicher sehr gut mitverfolgen können. Ich habe mich gefragt, wie ein Mensch, der gewisse moralische Prinzipien hat (was mir einerseits aus seinem Interesse an theologischen Fragestellungen, andererseits aus bestimmten Bemerkungen in seinen Aufzeichnungen plausibel erscheint, s.u.) gleichzeitig Werkzeug und Vollstrecker eines offensichtlichen Unrechtsregime sein kann, was seine Gründe dafür sein könnten und sie auch nachvollziehbar darzustellen. Zumindest mein literarischer Pannwitz leidet ja die ganze Handlung über an diesem Konflikt: Einerseits ist es seine Pflicht, die Attentäter dingfest zu machen (was sie in jedem Land der Welt wäre, nicht nur in Hitlerdeutschland). Andererseits sieht er, dass das Vorgehen der SS und des SD ungerecht, unmenschlich und nicht einmal zielführend ist (so der zu Beginn von Hitler geplante Vergeltungsschlag, bei dem 10.000 Tschechen erschossen werden sollten). So versucht er, seine Ermittlungsarbeit bestmöglich zu erledigen, ohne dabei seine persönlichen moralischen Grenzen zu überschreiten – was ihm nicht wirklich  gelingt. Die Zeit von 1933-1945 bietet da natürlich eine hervorragende Folie für die Darstellung von Gewissenskonflikten!

Also, um es kurz zu machen: Zum einen möchte ich mich in Zeiten von allgemein um sich greifender Geschichtsvergessenheit bestimmte Taten (v.a. Lidice) in all ihrer Deutlichkeit schildern, um sie nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen, andererseits wollte ich vor dem Hintergrund einer besonders schlimmen und schwierigen Zeit den inneren Konflikt Pannwitz‘ beleuchten.

Wie kamen Sie an Unterlagen des Sonderermittlers Pannwitz? (Dieses Attentat hat ja über den Krieg hinaus seine tiefen Wunden in der deutschen und tschechischen Bevölkerung hinterlassen. Die Beneš Dekrete sind ja bis heute noch umstritten.)

Das ist ganz interessant! Bereits 1985 hat der tschechisch-amerikanische Historiker Stanislav Berton die Aufzeichnungen von der Witwe Pannwitz erhalten – und zwar nachdem einer der Beteiligten auf tschechischer Seite, der Agent Jindra (alias Alois Seda alias Ladislav Vanek) sich bemühte, Kontakt zu Pannwitz aufzunehmen, um mit ihm gemeinsam eine Dokumentation der Ereignisse um das Heydrich-Attentat anzufertigen. Der Umstand, dass Vanek seinen Gegenspieler auf deutscher Seite so freimütig, geradezu herzlich angeschrieben hat, hat den Historiker Berton überhaupt erst dazu bewogen, sich die 1955 von Pannwitz erstellten Unterlagen näher anzusehen. Die Vierteljahresschrift für Geschichte, in der der Bericht erstmal veröffentlicht wurde, habe ich Ihnen an diese Mail angehängt! Allerdings hat die Veröffentlichung meiner Kenntnis nach in der deutschen Forschung nicht viel Beachtung erhalten; ich glaube aber, dass sich einige weitere tschechische Historiker gerade im Hinblick auf die Bewertung der Benes-Dekrete darauf bezogen haben. Ich bin, wie oben beschrieben, mehr oder weniger zufällig auf diese Publikation gestoßen, die mich aber gleich in ihren Bann gezogen hat.

Gesetzt den Fall, dass Pannwitz seine Rolle darin einigermaßen realistisch darstellt (das müssen wir ihm einfach glauben, aber da er bereits 10 Jahre Haft hinter sich hatte und es keine weiteren Ermittlungen gegen ihn gab, erscheint es mir plausibel, dass Pannwitz darin weitgehend die Wahrheit schreibt – wenn man von der für alle Menschen üblichen leichten Verklärung des eigenen Handelns absieht), bietet der Bericht, wenngleich sehr sachlich abgefasst, einen tiefen und erschütternden Einblick in die Seele des Kommissars, besonders im Hinblick auf die Ermordung der Bevölkerung von Lidice. Ich kann die Lektüre in jedem Fall empfehlen.

Weiterhin gibt es seit ein paar Jahren frei auf den Internetseiten der CIA verfügbare Dokumente (https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/SCHULZE-BOYSEN,%20HARRO_0016.pdf) , die sich mit Pannwitz befassen (in den 1950ern gab es wohl eine Zusammenarbeit), die aber über seine Rolle in den Ermittlungen nur am Rande Auskunft geben.

Die Fragen stellte Stephan Schwammel