Der Thriller, bei dem es um entführte und ermordete Kinder geht, hat verschiedene Seiten. Es ist ein gut geschriebener, spannender Krimi, ein etwas gruseliger, übernatürlicher Roman, aber in erster Linie eine soziologische Studie um Schuldgefühle bei Kindern und deren Auswirkungen auf ihr späteres Erwachsenenleben. Jede dieser drei Themen lässt einen das Buch nicht aus der Hand legen. Man muss einfach weiterlesen, ob es einen an manchen Stellen gefällt oder nicht. Bevor nicht klar ist, wer der Mörder ist, gibt es keine gute Nacht mehr.
Von Alex North werden wir Thrillerfans bestimmt noch viel hören!
Alex North, geboren und aufgewachsen in Leeds, England, studierte Philosophie und arbeitete nach seinem Abschluss an der Fakultät für Soziologie und Sozialpolitik. Insgeheim hegte er aber immer den Wunsch zu schreiben. Auf die Idee zu seinem Roman »Der Kinderflüsterer« brachte ihn ein merkwürdiger Ausspruch seines kleinen Sohnes, der sagte, er wolle mit einem »Jungen im Boden« spielen. Alex North lebt bis heute in seiner Heimatstadt Leeds, inzwischen mit seiner Frau, dem gemeinsamen Sohn und zwei Katzen.
Neil Spencer ist sechs Jahre alt und lebt in einem schlechten Elternhaus. Der Kleine pendelt zwischen den getrennt lebenden, trinkenden Eltern hin und her. Als er auf dem Nachhauseweg zu seiner Mutter plötzlich verschwindet, ist das kleine Örtchen Featherbank geschockt. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte Frank Carter fünf Jungen entführt und ermordet, von denen man nur vier bei ihm zu Hause im Anbau fand. Der Polizist Pete Willis konnte den Mann damals überführen, doch hadert immer noch damit, dass er die Leiche des kleinen John Smith nie fand. Darum besucht er einmal im Jahr Frank Carter im Gefängnis, um der Familie des Jungen endlich Frieden und einen Abschluss zu bringen. Diese Besuche bringen den Polizisten an den Rand des Ertragbaren und er muss immer wieder mit seiner Alkoholabhängigkeit kämpfen, die er vor Jahren besiegt hat.
Als Neil jedoch verschwindet, erinnert der Modus Operandi seiner Entführung an Frank Carter und alles kommt wieder hoch bei Pete Willis hoch. Die furchtbare Zeit, als seine Familie ihn wegen der Trunksucht verließ. Wie er selbst im Rausch gewalttätig wurde und so alles verlor, was er je liebte. Darum ist der Fall sein weißer Wal, den er unbedingt lösen muss.
Gleichzeitig zieht Tom Kennedy mit seinem kleinen Jungen Jake nach Featherbank. Beide sind in einer schwierigen Situation, denn Rebecca, Toms Ehefrau und Jakes Mutter verstarb vor zehn Monaten ganz plötzlich an einem Herzanfall. Seither führt Jake mit einer unsichtbaren Freundin Gespräche, zieht sich immer mehr zurück und hat Probleme in der Schule. Tom vergeht fast vor Schuld, denn er sieht das Leid seines Sohns als sein eigenes Versagen. Als die beiden in den Fall der Kindermorde hineingezogen werden, als man in der Garage ihres neuen Zuhauses das Skelett einer Kinderleiche findet, steht Tom plötzlich Pete Willis gegenüber. Beide erkennen sich sofort wieder, denn Pete ist Toms leiblicher Vater, den er seit jener gewalttätigen Nacht nicht mehr gesehen hat.
Zwei Monate später wird die Leiche des kleinen Neil Spencer genauso gefunden, wie Frank Carter damals seine Opfer hinterließ. Doch die Polizei kommt nicht weiter. Man fragt sich, ob Frank damals einen Komplizen hatte, der dem Kinderflüsterer half. Was aber niemand weiß, der Kinderflüsterer hat bereits sein weiteres Kind anvisiert, Jake Kennedy.
Sehr spannend sind vor allem die Gespräche von Jake mit seiner imaginären kleinen Freundin. Wir halten es für die natürliche psychologische Reaktion eines Kindes auf ein großes Trauma. Umso größer ist die aber die Überraschung, wenn der Leser den wahren Hintergrund von Jakes Geisterfreunde erfährt. Nicht nur ein Thriller, auch ein kleiner gruseliger Horrortrip, bei dem man den übernatürlichen Erscheinungen zum Teil dankbar ist. Als Gesamtpaket mehr als unterhaltend und lesenswert.
Der Kinderflüsterer, Alex North, Blanvalet, Klappenbroschur, Seiten 444, ISBN 978-3-7645-0710-7, Euro 13,00.