Tibet war einst ein Mysterium. Ein magisches und schwer erreichbares Land, mit sanften Menschen, dem alles durchdringenden Glauben und vor allem dem Dalai Lama, dem geistigen und weltlichen Oberhaupt Tibets. Jedenfalls, bis die Chinesen dieses wunderschöne ›Dach der Welt‹ brutal annektierten und zur sogenannten autonomen Region der Volksrepublik China machten. Ich hatte noch das Glück, Tibet im Jahre 1999 bereisen zu können. Mit der Kopie eines Gruppenvisums konnte ich mich zusammen mit einem Einheimischen sogar relativ frei dort bewegen. Doch die chinesische Präsenz der Macht, die das tibetische Volk unterjochte und die den Glauben schrittweise aushöhlen wollten, war damals allgegenwärtig. Der Dalai Lama ist seit 1959 in Indien im Exil, und eine Rückkehr nach Tibet ist kaum möglich. Die Chinesen sehen in Tenzin Gyatso, den Friedensnobelpreisträger, einen Separatisten. Sie verlangen von ihm, dass er die staatliche Souveränität Chinas über Tibet anerkennt. Der Dalai Lama auf der anderen Seite fordert Religionsfreiheit und eine gewisse Autonomie für sein Volk bei seiner Rückkehr. Eine Art Pattsituation, die wohl nicht aufzulösen ist.
Jetzt, im Juli 2025, wird das Oberhaupt Tibets neunzig Jahre alt. Was wird passieren bei seinem Tod, die Frage der Wiedergeburt und Nachfolge ist ungewiss. So stellt sich die Frage, ist der vierzehnte Dalai Lama, Tenzin Gyatso eventuell der letzte Dalai Lama? Oder wird es nach seinem Tod zwei Dalai Lama geben, einen bestimmt von der Kommunistischen Partei Chinas und eine/einen die/der außerhalb Chinas reinkarniert wird?
Diese Graphic Novel handelt vom Leben des Dalai Lama. Sowohl der Text als auch die Zeichnungen sind sehr nah an der brutalen Realität und schönen das unmenschliche Vorgehen der Chinesen in Tibet keineswegs. Das Leben des als Lhamo Döndrub geborenen Bauernjungen, der mit zwei Jahren als Reinkarnation des Dalai Lama erkannt wurde, wird so schonungslos beschrieben, wie er es erleben musste, bis hin zu seinem jetzigen Leben im Exil. In der Graphic Novel bekommt das Volk Tibets eine Stimme und es wird über die schlimmsten Jahre dieser so sanftmütigen und gläubigen Menschen berichtet. Ein wunderbares Buchprojekt von Matyáš Namai ist in Zusammenarbeit mit Tom Taylor hier entstanden. Eine Autobiografie, die von seiner Heiligkeit dem Dalai Lama autorisiert und befürwortet wurde. Diese Graphic Novel ist wohl eine der besten Kurzzusammenfassungen über das Leben des Dalai Lama und das Volk der Tibeter, die ich je gesehen habe.