Vielleicht kennen Sie das auch, wenn ich ein Sachbuch oder ein politisches Buch, manchmal sogar eine Satire lese, dann arbeite ich mit diesen kleinen bunten Klebezetteln. Sinn und Zweck dieser ist, sich Sätze oder Stellen zu markieren, die erwähnenswert oder einfach gut sind. Besonders wichtig, wenn man eine Rezension schreiben möchte. Bei Adam Soboczynskis Traumland verbrauchte ich eine ganze Menge der Klebezettel. Wenigstens eine Stelle werde ich am Ende der Besprechung einfach mal zitieren, damit Sie, liebe Leser, wissen, was ich meine.
Traumland ist eine liebevolle, witzige, manchmal wahrscheinlich mit Absicht klischeehafte und sehr kluge Beobachtung seine Wahlheimat Deutschland. Die vierköpfige Familie Soboczynski zieht von Polen nach Deutschland. Fort von einem noch umkämpften Erhalt des Kommunismus, der jedoch stetig mehr in sich zusammenfällt. Adam ist sechs Jahre, als er im idyllisch, bürgerlichen Koblenz ankommt. Die Erzählungen beginnen mit seiner Kindheit, den Studienjahren im biederen Bonn bis zu den wilderen Jahren in Berlin, wo er sich als Journalist etablieren kann. Er blickt nach Moskau, über den großen Teich zum Populisten Trump, aber auch in die kleinen mannigfach gelebten Universen in Berlin.
Seine scharfen Beobachtungen über den Osten und den Westen sind, wenn es um die Menschen geht, witzig, klug und liebenswert. Was die politischen Systeme und ihre Vertreter angeht eher klar und kompromisslos. Er zeichnet ein Bild über die Veränderung der Gesellschaft, über Demokratie und die wundersame, satte und friedliche Zeit, die wir in den letzten vierzig Jahren erleben durften. Der Autor identifiziert sich selbst mit den ewig kritisierenden Deutschen, der sein Land zu bieder und unerträglich findet. Aber die Freude an der Freiheit so etwas öffentlich äußern zu dürfen, sieht er als eine Errungenschaft, der besten aller möglichen Welten in der wir leben dürfen, dem Traumschloss Deutschland.
Autorenfoto: Copyright ® Maximilian Gödecke
Adam Soboczynski, geboren 1975 im polnischen Toruń, lebt in Berlin und Hamburg und leitet das Ressort Literatur im Feuilleton der ZEIT. Er schrieb mehrere erzählerische Sachbücher, darunter »Die schonende Abwehr verliebter Frauen«. Seine Werke wurden ins Spanische, Französische, Polnische, Italienische und Niederländische übersetzt. 2015 erschien sein Roman »Fabelhafte Eigenschaften« bei Klett-Cotta.
Eigentlich habe ich genug Worte über dieses, wie Juli Zeh es nannte, zauberhafte Buch geschrieben. Es ist eine dringende Leseempfehlung, weil das Buch trotz aller kritischen Betrachtung heiter und gleichzeitig wehmütig ist.
Lassen wir den Autor zu Wort kommen:
Zitat: »Er (Putin) hat sehr genau eine Schwachstelle des Westens erkannt, die gleichzeitig zu seinen größten Stärken zählt: die Fähigkeit zur Selbstkritik, die sich manchmal ins Selbstzerstörerische ausweiten kann. Eine Meinungsfreiheit, die vor der Kritik an der eigenen Geschichte, am eigenen System nicht haltmacht, sondern sie regelrecht herausfordert. Die Freiheit, öffentlich sagen zu können, dass man in einem besonders langweiligen, besonders hässlichen, besonders spießbürgerlichen Land lebt, das von einem besonders unattraktiven und besonders dicken Kanzler regiert wird, der gewählt worden ist, um für immer zu bleiben. Die Freiheit, wider besseren Wissens behaupten zu können, man lieg in Fesselns, während man in der besten aller möglichen Welten lebt, in einem Traumschloss.« Zitat Ende.
Traumland, Adam Soboczynski, Klett-Cotta, Taschenbuch, Seiten 176, ISBN 978-3-608-98869-7, Euro 12,00, Neuerscheinung 15.02.2025.