Javier Marías: Tomás Nevinson

Ich benötigte mehr als 2 Wochen und „Zeit und Ruhe“ für Javier Marías letzten Roman. Und auch wenn der Roman im Thriller/Spionage Milieu angesiedelt ist, liest er sich nicht wie ein Blockbuster. Es gibt keine Verfolgungsjagden, wenig bis gar keinen Sex und Gewalt. Die Handlung, so wie sie ist, spielt sich hauptsächlich im Kopf des Erzählers ab. Der Protagonist, Tomás Nevinson hat sein Erwachsenenalter damit verbracht, ein Leben der List und Täuschung zu führen, was die Annahme zahlreicher Decknamen erforderlich machte. Jetzt, in seinen 60ern, blickt er zurück und überlegt, ob sich all dies gelohnt hat. Nevinson ist ein intelligenter Mann; belesen, kulturell vielseitig, introspektiv, nachdenklich, sensibel. Er kann aus dem Gedächtnis – und mehr oder weniger genau – Shakespeare, TS Eliot, Wilfred Owen, WB Yeats und viele mehr zitieren. Was ihn von der ersten bis zur letzten Seite beschäftigt, ist die Frage, ob es besser ist, präventiv zu handeln, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, oder ob man warten sollte, bis es zwingende Beweise dafür gibt, dass ein Verdächtiger tatsächlich an den Verbrechen schuld ist, deren er oder sie beschuldigt wird. Von seinem Mentor beim britischen Geheimdienst, Bertram Tupra, wird Nevinson überredet seinen ruhigen Posten bei der Botschaft in Madrid aufzugeben und zurück ins Feld zu kehren. Seine Mission: Rache für einen 20 Jahre zurückliegenden ETA-Anschlag zu nehmen. 3 Frauen wurden als mögliche Teilnehmer an dem terroristischen Verbrechen identifiziert. Sie könnten auch Kontakte zur IRA haben und – wenn auch derzeit inaktiv – wiederbelebt werden, um sich an einer anderen Gräueltat zu beteiligen. Während die Uhr tickt, ist es Nevinsons Aufgabe herauszufinden, welche der Frauen schuldig ist – woraufhin er möglicherweise aufgefordert wird, sie zu töten. Und als die Geschichte endlich ihre actiongeladene Auflösung erreicht, haben alle langwierigen Verzögerungen, die endlosen Klauseln und Vorbehalte etwas unausweichlich Ergreifendes. Tomás Nevinson ist ein literarischer Roman. Darin zeigt Mariás, warum ihn so viele seiner Kollegen für einen der größten zeitgenössischen Romanautoren halten. Wie ein Geheimagent ist er Beobachter, Lauscher und Erfinder.

Foto: Wiener Zeitung

Javier Marías, 1951 als Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen geboren, veröffentlichte seinen ersten Roman mit neunzehn Jahren. Seit seinem Bestseller ›Mein Herz so weiß‹ gilt er weltweit als beachtenswertester Erzähler Spaniens. Sein umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Nelly-Sachs-Preis sowie dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Seine Bücher wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.

Eigentlich hat Tomás Nevinson mit dem Geheimdienst abgeschlossen. Doch sein ehemaliger Chef verführt ihn mit einem neuen Auftrag: Nevinson soll in einer spanischen Kleinstadt eine Terroristin, die sich an früheren Anschlägen der ETA und der IRA beteiligt hat, aufspüren und beseitigen. Als er mit einer Frau, die als Zielperson in Frage kommt, eine Beziehung eingeht, gerät er in Gewissenskonflikte.
Lassen sich Schuld und Unschuld zweifelsfrei erkennen? Und darf man einen Menschen töten, um ein größeres Verbrechen zu verhindern?

S. Fischer Verlag – gebunden – 707 Seiten – 32,00 € – ISBN 978-3103-97132-3