Tillie Olsen: Ich steh hier und bügle

Es heißt, das Werk von Tillie Olsen enthält biographische Züge. Tatsächlich steckt von ihr und ihrer eigenen Lebensgeschichte zuviel in diesen Erzählungen, als dass man Werk und Vita der Autorin getrennt sehen könnte. Olsen wäre dieses Jahr 110 Jahre alt geworden. Sie war 1957, als ihr erstes Buch »Ich steh hier und bügle« erschien 45 Jahre alt. Und ich habe diese Autorin erst jetzt entdeckt!  Aber wie sagt man: lieber spät als nie. 65 Jahre später sind die Geschichten so aktuell, wie bei ihrer Erstveröffentlichung. Die Belastungen für berufstätige, alleinerziehende und unterdrückte Frauen – wie für die Mutter, Protagonistin in Olsens Geschichte sind nicht einfach zu bewältigen. Olsen schafft etwas sehr Bemerkenswertes: sie reduziert zwei Leben auf eine 11 seitige Kurzgeschichte. Sie arbeitet die Charaktere von Mutter und Tochter Emily fein heraus und offenbart deren Sorgen und Freuden. Meisterhaft erzählt sie von viel Gefühl und Herzschmerz, von Opfern, die diese Mutter von fünf Kindern bringt, um sie großzuziehen. Aber die Autorin erzählt auch von der Mutterliebe, die sie empfindet und die ihr hilft zu akzeptieren, dass ihre Tochter ist wie sie ist. Die Mutter ist gewillt, ihre Tochter in sich selbst wachsen zu lassen. Gedanken, die die Autorin zur Vorreiterin der emanzipatorischen Literatur machen. Dazu kommt, dass die Thematik von Olsens Geschichten zeitlos ist und der Schreibstil gerade, schnörkellos, eindringlich und modern ist. Bewusst habe ich als Foto der Autorin das Cover der Erstveröffentlichung gewählt, zeigt es doch Olsen wie sie aussah als sie diese Kurzgeschichten schrieb.

Tillie Olsen, 1912 als Tochter jüdischer Einwanderer aus Russland in Nebraska geboren, musste als junge vierfache Mutter ihre fortschrittlichen politischen Ansichten mit künstlerischem Ehrgeiz und Brotarbeit unter einen Hut bringen. Gleich ihre erste Story, »Ich steh hier und bügle«, erschien in den »Best American Short Stories of 1957«, kurz darauf wurde sie mit dem begehrten O.-Henry-Preis ausgezeichnet. Obwohl sie die Highschool ohne Abschluss verlassen hatte, erhielt sie für ihr Werk diverse Stipendien, Ehrentitel und Gastprofessuren der großen amerikanischen Universitäten, darunter Stanford, Harvard und Amherst College. Ihr berühmter Essay »Was fehlt« entstand aus einem Vortrag, den sie 1962 am Radcliffe Institute der Harvard University gehalten hatte. Sie starb 2007 in Oakland, Kalifornien, und gilt heute als Vorreiterin der emanzipatorischen Literatur.

Adelheid Dormagen, nach Schulbesuch in Mexiko-Stadt und Kairo mit deutschem Abitur Studium der Germanistik und Anglistik in Freiburg. Rundfunktätigkeit 1971/72. Gymnasiallehrerin von 1973 bis 2008, seit 1981 Übersetzerin von Autorinnen und Autoren wie Doris Lessing, Jane Bowles, Virginia Woolf, Nella Larsen, Michael Ondaatje und David Malouf. Deutsch-Australischer Übersetzerpreis 1997.

Jürgen Dormagen, nach dem Studium der Germanistik und der Philosophie von 1978 bis 1984 Lektor bei Klett-Cotta, von 1984 bis 2010 bei Suhrkamp/Insel. Seit 1999 Leiter von Übersetzerseminaren der Deutschen Buchakademie im Literaturhaus München und des DÜF im LCB Berlin. Übertrug u. a. Werke von Angeles Saura und Jean Stafford ins Deutsche. Jane Scatcherd-Preis 2004, Übersetzerbarke 2010.

Die Geschichten dieses Bandes verzahnen sich immer enger miteinander und gewähren sprachlich brillante Einblicke in die Welt der sozial Benachteiligten: Die Gedanken einer Mutter gleiten gequält mit dem Bügeleisen hin und her – was konnte sie ihrer halbwüchsigen Tochter bieten, was blieb dieser verwehrt? Lennie, Helen und ihre Kinder machen Platz für Whitey, einen gestrandeten Freund der Familie, doch er stellt ihre Geduld einmal mehr auf die Probe. Zwei Freundinnen, eine schwarz und eine weiß, merken, dass ihre Welten immer unvereinbarer scheinen. Ein Ehepaar streitet erbittert darüber, wie sie jetzt, wo Kindererziehung und Beruf hinter ihnen liegen, leben wollen, als sie eine fatale Diagnose ereilt. Die Geschichten verzahnen sich immer enger miteinander, wenn die Verbindungen der Protagonistinnen untereinander sichtbar werden.

Aufbau Verlag –  Gebunden – 208 Seiten –  €20,00 – ISBN 978-3-3510-3982-0