Gloria Naylor: Die Frauen von Brewster Place

 

Mit ihrem Debütroman »Die Frauen von Brewster Place« legte Gloria Naylor vor 40 Jahren den Grundstein für ihre äußerst steile Karriere und inspirierte Oprah Winfrey eine erfolgreiche Miniserie basierend auf dem Buch zu produzieren, in dessen Zentrum sieben schwarze Frauen stehen. Jede Geschichte in Die Frauen von Brewster Place für sich genommen ist fesselnd und obwohl jede Geschichte nur tangential mit jeder anderen Geschichte verbunden ist, bietet die Autorin eine Gesamteinheit, die den Roman trägt. Und zwar nicht in herkömmlicher linearer Struktur, sondern unter Verwendung von mehreren Miniplots, die das Leben der einzelnen Protagonistinnen beleuchten und der Autorin ermöglichen, sich auf die Charaktere zu fokussieren. Und es gelingt Naylor ihre Figuren überzeugend zu entwickeln. Jede Frau wird mit ihrer eigenen einzigartigen Persönlichkeit präsentiert, die fein ausgearbeitet ist, so dass sie sowohl einprägsam als auch kraftvoll daherkommt. Der Roman beginnt mit der Geschichte von Mattie Michael und erzählt, wie sie dazu kam, am Brewster Place zu leben. Denn: wer in Brewster Place endet, hat den sozialen Abstieg hinter sich. Das Kapitel beginnt in den 1970er Jahren, aber obschon Mattie sich erinnert, verschiebt sich der Zeitraum in die 1940er Jahre. Dadurch, dass Mattie auch in den anderen Kapiteln auftaucht, wird sie zu etwas wie einem Bindeglied zwischen den einzelnen Kapiteln. So im zweiten Kapitel über ihre Jugendfreundin Etta May Johnson. Etta führt im Gegensatz zu Mattie ein Leben auf der Überholspur und man wünscht ihr eine bessere Menschenkenntnis, die sie vor schlechten Erfahrungen schützen würde. Brewster Place beherbergt aber auch drei Bewohnerinnen, eine davon Kiswana, der das dritte Kapitel gewidmet ist, die sich bewusst für Brewster Place entschieden hat. Eine Möchtegernaktivistin, die aus Linden Hills und einer privilegierten Familie stammt und gegen alles und nichts protestiert (die anderen beiden sind Theresa und Lorraine aus dem sechsten Kapitel). Ciel kämpft im vierten Kapitel darum, ihre Ehe und den Anschein eines Familienlebens aufrecht zu erhalten. Durch den Verlust ihrer Tochter und ihres ungeborenen Babys verfällt Ciel in tiefe Depressionen und will sich umbringen. Sie wird von Mattie in einer der für mich bewegendsten Szenen des Romans gerettet. Die letzte Protagonistin im Bunde ist Cora Lee. Eine alleinerziehende Mutter mit sieben Kindern von unterschiedlichen Vätern auf der Flucht in die Welt der Seifenopern. Während sich fünf der sechs Kapitel mit der Unterdrückung von Frauen durch Männer befassen, geht es in Kapitel sechs um die Unterdrückung von Frauen durch Frauen. Lorraine und Theresa, ein lesbisches Paar, ist zum Brewster Place gezogen, um einer möglichen Verfolgung in einem der wohlhabenderen Viertel zu entgehen. Eine Entscheidung, die im Desaster endet. Das letzte Kapitel erzählt vom Straßenfest in Brewster Place an dessen Ende die Frauen die Mauer, die ihre Straße zur Sackgasse machte, einreißen und sich gemeinsam geistig und körperlich befreien.

Foto: Tom Keller

Gloria Naylor (1950–2016), geboren in New York, studierte Anglistik und African-American Studies. Ihr Debütroman Die Frauen von Brewster Place erschien 1982, weitere Romane und Erzählungen folgten. Ihr vielschichtiges Werk kreist um das Leben Schwarzer, um ihre Kämpfe und Hoffnungen, in einer Welt, in der Weißsein alles bedeutet. Für ihre Werke erhielt sie u. a. den American Book Award und den National Book Award. Sie unterrichtete Literatur und Kreatives Schreiben an verschiedenen amerikanischen Universitäten.

Sibylle Koch-Grünberg (1947–2020) übersetzte aus dem Englischen, unter anderem Werke von Tillie Olsen, Jill Tweedie und Terence McKenna.

Tropfende Rohre, quietschende Türen, kaputte Aufzüge. Brewster Place, das ist die Straße mit den Schlaglöchern und der Mauer am Ende, hinter der man die schicken Gegenden der amerikanischen Großstadt nur erahnen kann. Mattie Michael und Etta Johnson wohnen schon ewig hier, und sie wissen absolut alles, was in den Häusern der anderen so passiert.
Kiswana Browne nervt mit ihren Black-Power-Parolen; Cora Lee kriegt in der Hoffnung auf morgen immer mehr Kinder, und die zwei Neuen irritieren die anderen mit ihren verstohlenen Zärtlichkeiten. Die Gerüchteküche brodelt und treibt den Geruch von Begierde und Fürsorge, von Hoffnung und Verzweiflung durch die Straße.

Unionsverlag –  gebunden – 256 Seiten – 14,00 € – ISBN 978-3-293209-503