Ein Leben und eine Nacht, Anne Griffin

Ein großartiges Stück Erzählkunst. Die kleine leise Geschichte eines irischen Lebens mit allen Höhen und Tiefen. Maurice Hannigan am Ende seines Lebens angekommen, blickt zurück auf die Liebe, die Schicksale, Dramen und glücklichen Stunden seines so scheinbar ganz normalen Lebens. Doch sein Leben war nicht normal, es war einzigartig, tragisch und glücklich zugleich.

Die Geschichte eines irischen Bauernjungen, die so wunderschön ist, dass man Tränen des Glücks vergießt, mit Maurice liebt, leidet und manchmal auch lacht. Vom erzählerischen ist die Geschichte so bewegend, dass sie für mich zu den Top Ten aller Familiengeschichten gehört, die ich je gelesen habe.

Ein ganz unglaublicher Roman. Lassen Sie das Buch, liebe Leser, nicht an sich vorbeiziehen!

Fotocopyright: GerHolland

Anne Griffin ist eine irische Schriftstellerin. Sie erhielt für ihre Kurzgeschichten den John McGahern Award for Literature, außerdem stand sie u.a. auf der Shortlist für den Hennessy New Irish Writing Award und den Sunday Business Post Short Story Award. Ihr Romandebüt, “Ein Leben und eine Nacht”, wurde in zahlreiche Länder verkauft, u. a. in die USA, nach Kanada, Frankreich und Holland, und stand auf Platz 1 der irischen Bestsellerliste. Anne Griffin lebt in Irland.

Martin Ruben Becker, lebt als Übersetzer in München und hat u.a Bücher von
Joseph Luzzi, Robert Goolrick, Favell Lee Mortimer und David Bergen übersetzt.

Wenn man mit dem alten Mann Maurice an die Hotelbar geht und er das erste Stout bestellt, wirkt er müde vom Leben. Er hat seine Frau vor zwei Jahren verloren und weiß einfach nicht mehr, wie er weiter leben kann. So blickt er in dieser Nacht zurück auf die Menschen, die ihm am Wichtigsten waren, und bringt einen Toast auf sie aus.

Sein Rückblick führt ihn zurück auf die Farm seines Vaters, zu seiner zarten Mutter, den zwei Schwestern und seinem über alles geliebten Bruder Tony. Kaum vier Jahre alt nimmt der ältere Tony Maurice unter seine Fittiche und steht wie ein Fels an seiner Seite, wenn einmal Tränen laufen. Nach dem Motto, du und ich gegen den Rest der Welt, schafft es Tony immer wieder den kleinen Jungen aufzubauen und zum Lachen zu bringen. Besonders als es mit der Schule anfängt, den Maurice denkt, er ist dumm. Dabei hat er nur Legasthenie, eine Leseschwäche, die man damals gar nicht kannte. Doch der Lehrer quält Maurice nicht, er akzeptiert, dass der Junge sich in dem Buchstaben-Wirrwarr nie auskennen wird.

So fängt Maurice sehr jung an, bei der reichsten Familie am Ort, den Dollards, zu arbeiten. Dort lernt er die Gemeinheit der Menschen kennen. Denn sowohl der alte Dollard ist ein Menschenschinder, auch sein Sohn, der im gleichen Alter ist wie Maurice, lässt seinem Jähzorn freien Lauf. Und immer ist Maurice sein Opfer. Bis Maurice durch Zufall eine goldene Münze findet, an der scheinbar das Leben der Dollards hängt. Vielleicht hätte Maurice die Münze zurückgegeben, wenn diese Menschen seiner Mutter erlaubt hätten, bei ihrem sterbenden Sohn Tony zu sein. Wenn Misses Dollard nicht die Beerdigung von Tony gestört hätte …

So führt uns Maurice durch die vertrackten Wirren seines Lebens, durch seine Liebe, seine Schuld und auch durch eine Art Wiedergutmachung.

Zum Weinen schön ist die Lebensgeschichte von Maurice Hannigan. Ehrlich ohne übertriebene Schnörkel erzählt der Mann aus seinem Leben und der Leser ist tief ergriffen. Für mich ein Stoff wie Die Asche meiner Mutter von Frank McCourt, nur noch schöner! So hoffe ich, dieses einmalige Buch wird auch verfilmt.

Ein Leben und eine Nacht, Anne Griffin, Kindler, gebundene Ausgabe, Seiten 314, ISBN 978-3-463-40708-1, Euro 20,00.