Wenn man schon in den Babyschuhen mit einem rechtsradikalen Elternhaus konfrontiert wird, macht das etwas mit einem. Wenn man als Schulkind in militanten rechten Jugendorganisationen völkisch erzogen und gedrillt wird, muss man es definitiv als Missbrauch bezeichnen. Doch die Frage stellt sich, ist somit ein Lebensweg vorgezeichnet? Heidi Benneckenstein, deren Geschichte hier erzählt wird, ging den Weg eines aktiven Neonazis, bis zu ihrem Ausstieg. Ein deutsches Mädchen zeichnet ihre Geschichte auf.
Heidi Benneckenstein, geborene Redeker, wuchs in der Nähe von München auf. Sie stammt aus einer Familie von überzeugten Nazis und wurde, wie Tausende anderer Kinder aus dem militanten Milieu, erzogen. Ihre früheren Kameradinnen und Kameraden zündeln heute bei NPD, Pegida oder im Verborgenen. Heidi Benneckenstein hat den Ausstieg gewagt, öffentlich und ohne ihren Namen oder ihre Identität zu ändern.
Natürlich ist dieses Buch interessant, wenn man mehr von den rechten Organisationen, ihren unerhörten, organisierten Einfluss auf Kinder und Jugendliche erfahren will. Natürlich muss man sich als verantwortungsvoller Bürger der Bundesrepublik Deutschland darüber informieren und etwas dagegen unternehmen.
Es stellte sich für mich lediglich die Frage, ob gerade die Geschichte von Heidi Benneckenstein, dafür das richtige Forum ist. Ich kann nicht beurteilen, was eine solch massive Gehirnwäsche von klein auf mit einem Menschen macht, dennoch stellte sich mir bei Lesen immer wieder die Frage, wieso konnte sich die junge Frau erst so spät von dem Neonazi-Milieu lösen und vor allem, warum sie eigentlich den Ausstieg schaffte.
Nachdem ich die Geschichte von Frau Benneckenstein gelesen hatte, habe ich den Eindruck, dass sie in allem ein Mitläufer war. Eigentlich nie richtig brannte für das abartige rechte Gedankengut. Sie kannte nichts anderes, hatte keine anderen Freunde und war halt mal mit dabei. Mit dabei beim Saufen, Parolen brüllen und dummen Sprüchen klopfen. Sie schmiss die Schule, sie schmiss ihre erste Ausbildung und eigentlich ihr Leben, wäre sie nicht einem jungen Rechten begegnet, in den sie sich verliebte. Auch liest sich ihr Ausstieg so, als ob sie wieder nur mitlief, mit Felix, ihrem Freund und späteren Mann, der bewusster den Ausstieg suchte nach seiner letzten Haftstrafe. Für mich als Leser muten ihre negativen Gedanken gegen die Nazis in ihrer aktiven Zeit, in Form von Beschwerden über die machohaften und frauenverachtenden Sprüchen ihr Mitstreiter, kindlich und unüberlegt an. Auch ihre Schwärmerei für ihren Partner Felix, den rechten Liedermacher, der anscheinend mehr mit der extremen Politik seiner Kameraden haderte, klingt pubertär. Leider bleibt dieser Nachgeschmack bei dem Inhalt des Buches erhalten. Natürlich ist es mit guten Fakten gespickt. Man erfährt sehr viel von der Organisation im Neonazimilieu und auch der rechten Parteien, daher lohnt sich das Lesen.
Es ist eloquent geschrieben, was mich sehr erstaunte bei Werdegang der Autorin, bis ich sah, dass das Buch unter Mitarbeit von Tobias Haberl entstand. Daher mutmaße ich, dass es sich um den Journalisten Tobias Haberl handelt, der für die Süddeutsche Zeitung arbeitet und mit seiner Reportage über den NPD-Politiker Udo Voigt mit dem Theodor Wolff Preis ausgezeichnet wurde. Sollte ich falsch liegen, bitte ich um Entschuldigung.
Fazit: Es ist lesenswert, denn wenn es um Autobiographien geht, ist es immer gut ein Gesicht zum Buch zu haben. Auch beinhaltete es wissenswerte Fakten. Dennoch wäre es vielleicht besser als Biographie einer Aussteigerin unter dem Namen eines engagierten Journalisten erschienen.
Ein deutsches Mädchen, Heidi Benneckenstein unter Mitwirkung von Tobias Haberl, Tropen, Taschenbuch, Seiten 249, ISBN 978-3-608-50375-3, Euro 16,95.