Wie nähert man sich einem Roman, der Das Alte Böse heißt? Mit Humor? Die alte Böse, muss es heißen, und die ist tot. Oder doch mit freudiger Erwartung? So wie Brian, der im Internet Estelle kennengelernt hat. Die lässt sich von ihrem Enkel Stephen zum Rendezvous chauffieren. Enkel? Internet-Dating-Portal? Moment, wie alt sind die beiden denn? Sagen wir es so: Sie sind in der Mitte zwischen einer dreistelligen Altersangabe und dem Renteneintrittsalter. Und sie heißen eigentlich Betty und Roy. Und sie sind alt. Und einer von beiden (oder doch beide?) ist böse!
Nicholas Searle ist in Cornwall aufgewachsen und studierte Sprachen in Bath und Göttingen. Er machte Karriere im öffentlichen Dienst, erst in seiner Heimat, dann für lange Zeit in Neuseeland. 2011 kehrte Searle nach England zurück, nahm seinen Abschied vom Staatsdienst und begann zu schreiben. „Das alte Böse“ ist sein von der Kritik gefeierter Debütroman, in Großbritannien war das Buch ein Bestseller, die Filmrechte sind vergeben. Der Autor lebt mit seiner Frau in Yorkshire.
Schnell macht Autor Nicholas Searle klar, wer hier Dreck am Stecken hat: Brian aka Roy. Und zwar richtig viel Dreck. So viel, dass er schon gar nicht mehr zu entfernen ist. Enkel Stephen steht der Liaison der beiden skeptisch gegenüber. Auch und gerade, weil sie doch ziemlich schnell auch räumlich zueinander finden. Roy zieht bei Betty ein. Roy bemerkt die unterschwellige Feindseligkeit Stephens mit jedem Wort, das die beiden wechseln. Doch sowohl Roy als auch Stephen halten mit ihren wahren Gefühlen dem anderen gegenüber hinterm Berg. Betty ist die mit dem Geld in der Beziehung, Roy hat zwar auch was zurückgelegt, ist aber bei Weitem nicht so vermögend wie Betty. Er kommt allerdings permanent an sein Geld ran, während sie es fest angelegt hat. Und Stephen? Der ist mit seiner Forschung genug beschäftigt. Er ist Historiker und mit den Gedanken immer ein paar Jahrhunderte zurück.
In nicht ganz vollendeten Rückblenden offenbart Nicholas Searle dem Leser die nicht ganz einwandfreie Geschichte des windigen Roys. Schnelles Geld mit zwielichtigen Leuten, doch immer vorsichtig, dass ihm niemand auf die Schliche kommt. So ist Roy, so war er. Roy scheint geläutert. Hat mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Vereinzelte Kontakte mit der alten Gang sind der klägliche Rest mit dem vergangenen Roy. Vincent ist der einzige, den Roy immer noch regelmäßig trifft. Er ist sein „Finanzberater“, einer der auch Betty Finanzen zur Vermehrung antreiben kann. Und Betty? Betty ist die Liebenswürdigkeit in Person. Harmlos. Freundlich. Generös. Wird sie am Ende von Roy nur ausgenutzt? Setzt er sich ins gemachte Nest der distinguierten freundlichen alten Dame? Oder will er nur an ihr Geld? Mittlerweile ist Roy dem Leser immer unsympathischer geworden. Betrug und Verrat sind noch die am wenigsten unanständigen Dinge, die er auf dem Kerbholz hat. Auf der anderen Seite (eigentlich ist es ja die gleiche Seite – schließlich dreht sich bei Roy immer alles nur um Roy) ist er ein echter Glückspilz. Sein ganzes Leben lang ist er lediglich mit ein paar Blessuren davon gekommen. Doch sein Leben ist noch nicht zu Ende.
Nicholas Searle lässt den Leser bis zum Schluss zappeln. Kapitel für Kapitel versucht man das Rätsel um Roy und um seine Beziehung zu Betty zu ergründen. Die Auflösung verbirgt sich hinter dichten Nebelschwaden. Und wenn sie zutage tritt, ist man mehr als überrascht. Grandioses Finale furioso!
Das Alte Böse, Nicolas Searle, Kindler Verlag, 368 Seiten, gebundene Ausgabe Euro 19,95 €, Taschenbuch Euro 9,99, ISBN 978-3-463-40667-1.
Eine Rezension von unserem Gastrezensenten Karsten Koblo: aus-erlesen.de.