Erika Swyler: Das Geheimnis der Schwimmerin; Interview mit Erika Swyler

66002648Swyler_Geheimnis_FIN.inddSimon Watson ist ein junger, erfolgloser Bibliothekar, ein Träumer und Romantiker. Er lebt in einem alten Haus an der Küste Long Islands und das Meer fordert seinen Tribut, denn mit jedem Tag, der vergeht, bricht ein Stück Küste ab und zerstört dieses Haus. So ist sein Haus, wie ein Synonym seiner Lebensgeschichte. Denn als er ein altes Buch zugeschickt bekommt, in dem es anscheinend um seine Familie geht, bröckelt auch seine Existenz langsam und wird in die Fluten gespült. Das Geheimnis seiner Mutter, die sich im Meer das Leben nahm, als er noch ein kleiner Junge war und das Schicksal seiner jüngeren Schwester offenbaren sich, mit jeder Welle, die auch ihn fortspült. Dieses wunderschöne geschriebene Buch erinnert an Danielle Wallace Roman Big Fish, der mit Evan McGregor 2003 verfilmt wurde. Bestimmt ließ sich die Autorin davon inspirieren, denn einer ihrer Hauptprotagonisten heißt Amos, wie der Zirkusdirektor in dem Film.

Erika Swyler Foto: BJ Enright

Erika Swyler
Foto: BJ Enright

Erika Swyler besuchte die New York University und hat bereits für die Bühne sowie diverse Literaturmagazine und Anthologien geschrieben. Geboren und aufgewachsen in Long Island, lernte sie schwimmen, noch bevor sie laufen konnte. Vor Kurzem zog sie von Brooklyn zurück in ihren Heimatort, der sie zu ihrem Debüt inspirierte.

Ein unbekannter Buchhändler schickt Simon ein altes Buch, da er einen Zusammenhang mit Simons Familie vermutet. Simon Watson ist Bibliothekar und liebt Bücher. Darum wundert er sich nicht weiter über den eigenartigen Alten, mit dem er nur ab und zu telefoniert und beginnt zu recherchieren. Wahrhaftig wird der Name seiner Großmutter erwähnt und auch noch andere Frauennamen, die seiner eigenen Mutter früher bekannt waren. Alle schienen das gleiche Schicksal, seiner Mutter zu teilen. Alle waren fahrende Schaustellerinnen und alle ertranken am 24. Juli durch einen Selbstmord. So schmerzlich die Erinnerung an seine schöne Mutter auch ist, die ins Meer ging, als er und seine Schwester Enola noch klein waren, er gräbt immer tiefer in seiner Familiengeschichte. Es ist eine Intuition, der folgt und diese beängstigt ihn. Denn seine Schwester Enola kehrt nach Jahren plötzlich in das alte Haus zurück und verändert sich immer mehr, je schneller es auf den 24. Juli zugeht.

Gleichzeitig erfährt der Leser die alte Geschichte des Wanderzirkus, der Ende des 18. Jahrhunderts durch Neuengland tingelte. Die Geschichte von Amos, einem stummen Waisen, der sich der Truppe anschließt und Evangelina, das geheimnisvolle Mädchen, das in einer Gewitternacht plötzlich vor ihm steht.

Großartige Literatur, liebevoll, einfühlsam geschrieben und sehr spannend. Für ein Debüt ist das Geheimnis der Schwimmerin wirklich beeindruckend und spricht jede Bücherseele von sechszehn bis achtzig an.

Das Geheimnis der Schwimmerin, Erika Swyler, Limes Verlag, gebundene Ausgabe, Seiten 522, ISBN 978-3-8090-2648-8, Euro 19,99.

Elke Rossmann

Interview mit Erika Swyler: Wussten Sie, dass Erika Swyler selber Bücher bindet?

Eine kurze Biografie:

Ich habe meinen Abschluss an der New Yorker Universität Tisch School of Arts gemacht. Ich wurde an der Nordküste von Long Island geboren und bin dort auch aufgewachsen. Schwimmen habe ich fast noch vor dem Laufen gelernt. Nachdem ich viele Jahre in New York gelebt habe, bin ich vor kurzem mit meinem Mann und unserem Haushasen zurück nach Long Island gezogen. Ich liebe es zu zeichnen, zu backen und zu fotografieren.

Warum haben Sie sich entschieden Autorin zu werden?

Ich habe schon immer geschrieben, aber mich nie dazu entschieden, es als Karriere zu verfolgen, bis es immer mehr meiner Zeit in Anspruch genommen hat. Ich habe mein kreatives Leben als Schauspielerin begonnen und bin erst nach und nach dazu übergegangen, Theaterstücke zu schreiben, dann Kurzgeschichten und letztendlich einen Roman. Autorin zu werden hat mich selbst einfach überrumpelt, aber es hat wohl niemanden überrascht, der mich kennt.

Wo haben Sie die Inspiration für ihren Roman gefunden?

Ich werde von Büchern, die ich gelesen habe, inspiriert, genauso wie von den Orten, an denen ich gewesen bin, oder von alltäglichen Dingen. Ich bin besessen von der Idee, die Magie im gewöhnlichen Leben zu finden. Ich habe festgestellt, dass ich viel aus Folkloren, Märchen und Science Fiction einfließen lasse. Ich schaue auch immer wieder auf die Kindheit, um Inspiration zu finden, da Kinder meistens offener für die Schönheit der Dinge sind.

Was für eine Art Geschichte schreiben Sie momentan?

Zurzeit arbeite ich an einem neuen Roman, einem, der die Konzepte von Weltall und Zeit untersucht. Nichtsdestotrotz ist er sehr in der Realität verankert. Im Mittelpunkt stehen ein Erfinder und seine Tochter, ein junges Mädchen, das vom Weltall, dem amerikanischen Space-Shuttle-Programm und dem Traum Astronautin zu werden, besessen ist.

Wer sind ihre Lieblingsautoren und warum?

Momentan liebe ich Kelly Links Werke sehr. Sie beschreibt Frauen auf eine Art und Weise wie niemand zuvor. Ihre Arbeit ist sonderbar und furchtlos auf die beste Art. Aimee Bender mag ich aus demselben Grund. Beide Frauen bringen ihre Leser dazu weiterzudenken.

Was haben Sie kürzlich gelesen?

Behave von Andromeda Romano Lax, Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte von Oliver Sack, The Hundred-Year Flood von Matthew Salesses und Saint Mazie von Jamie Attenberg. All diese Bücher mochte ich sehr gern.

Was ist Ihre Lebensphilosophie?

Harte Arbeit spricht für sich selbst. Wenn du hart arbeitest und alles, was du bist, in etwas steckst, was du liebst, dann zahlt es sich auch aus. Das ist der einzige Weg, finde ich, um mit dem zufrieden zu sein, was man tut.

Was machen Sie, wenn Sie nicht schreiben?

Ich lese natürlich. Außerdem zeichne ich, backe, binde Bücher und fotografiere. Ich mag Hobbies, bei denen ich etwas kreiere oder etwas Neues erlerne. Ich spiele aber auch gerne Videospiele.

Fünf Dinge, die wir bisher nicht über Sie wussten …

  1. Ich habe alle ursprünglich eingereichten Manuskripte von Das Geheimnis der Schwimmerin von Hand gebunden, ihnen einen alten Look verpasst und sie vergoldet.
  2. Ich habe beim Schultheater mitgemacht und kurze Zeit das Clown-Sein erlernt (es war schrecklich).
  3. Meine Mutter hat mir das Zeichnen beigebracht.
  4. Ich besitze vier verschiedene Schreibmaschinen.
  5. Ich bin sehr, sehr gut an der Schießbude.

Wie würden Sie Ihr Buch Das Geheimnis der Schwimmerin in einem Satz beschreiben?

Ein Bibliothekar muss seine Schwester vor einem Fluch retten, der seit 250 Jahren den Frauen seiner Familie das Leben kostet.

Was hat Ihr Buch inspiriert?

Ich wurde sehr von der Umgebung, in der ich aufgewachsen bin, inspiriert. Sie ist wunderschön aber auch ökologisch fragil. Wenn man entlang des Long Island Sounds läuft, wird man Häuser auf Klippen sehen, die wirken, als würden sie jeden Moment herunterfallen. Ich habe mich immer gefragt, wer wohl dort wohnt und wie diese Menschen in eine so prekäre Situation gekommen sind. Es war etwas, über das ich immer schreiben wollte. Außerdem hatte ich schon immer eine Schwäche für Zirkuskunst und natürlich für Bücher. Ich wollte einen Weg finden, diese verschiedenen Leidenschaften zu verknüpfen. Am Ende wurde es eine Geschichte über eine Familie.

Wer ist Ihr Lieblingscharakter in dem Roman und warum?

Enola ist mein Lieblingscharakter, vielleicht weil sie versucht hat, ihr eigenes Leben unter schwierigen Umständen zu meistern. Weglaufen ist für sie ein Akt des Mutes. Ich mag es, dass sie sehr gemein sein kann und gleichzeitig sehr innig liebt. Ich tendiere dazu, Frauencharaktere zu mögen, die sehr scharfkantig sind. Sie fühlen sich für mich real an.

Welche Szene war am schwersten für Sie zu schreiben?

Die finale Szene, die ich für Amos, den stummen Wahrsager, geschrieben habe, war sehr schwer für mich. Ich habe am Ende des Buches sehr viel Zuneigung für ihn empfunden. Zu wissen, dass ich niemals wieder über ihn schreiben würde, machte mich sehr traurig. Sein Charakter erforderte es, anders über Dialoge zu denken und mich zu fragen, wie viel Persönlichkeit man über Körperlichkeit vermitteln kann. Das war ein Geschenk. Er ist außerdem so eine liebenswerte Figur. Ich vermisse ihn noch immer.

Was, glauben Sie, welche Art von Leser wird Ihr Buch lieben?

Leser, die magische Reiche mögen, Bücher über Bücher und die Welt des Zirkus und des Karnevals. Es ist auch eine Familiensaga; daher werden Leser, die sich für Familien- und Beziehungsthemen interessieren wie zuhause fühlen.

Ein paar Worte an Ihre deutschen Leserinnen und Leser?

Nur wenige Objekte haben mehr verführerische Magie als alte Bücher. Alte Bücher bringen uns dazu, über ihre Geschichte zu spekulieren, während sie uns durchs Lesen und die Berührung mit der Vergangenheit kommunizieren lassen. Für Buchliebhaber kann die Geschichte eines alten Buches genauso kraftvoll sein wie die eigene Familiengeschichte. In manchen Fällen sind diese Geschichten ein und dieselbe. Ich habe versucht, diese Magie im Schreiben von Das Geheimnis der Schwimmerin einzufangen. Ich hoffe, Sie genießen das Lesen genauso sehr, wie ich das Schreiben genossen habe.