Man muss nicht Geige spielen, um der Magie und dem Charme des Geschichtenerzählers Edvard Hoem zu erliegen. Seine bildhaften, poetischen Beschreibungen lassen das ausgehende 18. und das beginnende 19. Jahrhundert lebendig werden und ziehen die Lesenden in seinen Bann. Wie überall war auch in Norwegen das Leben der Bauern hart und entbehrungsreich, Bildung kaum jemandem zugänglich, dafür die Kirche all gegenwärtig. Hoem hat seine interessanten Protagonisten und Charaktere detailliert ausgearbeitet. Man merkt, er mag sie. Zusammen mit den ausführlichen Beschreibungen des täglichen, bäuerlichen Lebens zeichnet er ein umfangreiches, überzeugendes und authentisches Bild der damaligen Zeit. Hoem veranschaulicht die ländlichen Strukturen der norwegischen Westküste, die Macht der Dienstherrschaft und zeigt dabei auf, wie abhängig und ausgeliefert das Gesinde war. Bald zeichnet sich ab, das Lars, das jüngste Kind der Familie Hoem, eine besondere Rolle innerhalb der Familie zukommen wird. Obwohl groß und von stabiler Statur ist er sehr empfindsam, sehr musikalisch, darf aber kein Instrument lernen, ist geschickt mit dem Schnitzmesser und der Gescheiteste in der Schule. So gescheit, dass er einmal Nachfolger des Lehrers werden soll. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. Auch wenn Lars (zu der Zeit 10 Jahre alt) noch nicht alle Vorgänge auf dem Hof versteht, beunruhigt ihn das Verschwinden der Magd Guri, zu der er ein besonderes Verhältnis hatte. Er fühlt sich allein gelassen und als er erfährt, dass sein ältester Halbbruder Pe etwas mit dem Verschwinden zu tun hat, hört er auf zu sprechen. Er hadert mit Gott und seinem Glauben, verweigert ihm die Gefolgschaft. Freilich: nur ein konfirmierter Mann ist ein freier Mann. Um den elterlichen Hof verlassen zu können und bei der Handelsmarine anheuern zu können, muss er konfirmiert sein. Jedoch die Zeiten sind schwierig, Napoleons Truppen ziehen brandschatzend durch Europa, Lars gerät in Gefangenschaft und verbringt 5 Jahre auf Gefangenenschiffen. Am Leben erhält ihn die Bekanntschaft mit dem Franzosen Jean, einem Geigenbauer, dem er zur Hand geht und dessen Handwerk er erlernt. Sein Lohn ist „das Geheimrezept des Firnisses“. Nach seiner Entlassung lässt er sich in Kristiansund nieder, heiratet Gunhild, bekommt 7 Töchter mit ihr und baut in den 30 Jahren bis zu seinem Tod 500 Geigen, von denen 30 erhalten sind. Edvard Hoem nimmt die Lesenden mit auf eine beeindruckende Zeitreise, die lange nachklingt.

Foto: Paal Audestad
Edvard Hoem, geboren 1949 in der Nähe von Molde, ist einer der führenden norwegischen Schriftsteller. Seit fünf Jahrzehnten veröffentlicht er Romane, Dramen, Gedichte und Übersetzungen, für die er u.a. mit dem Brage-Preis (2019), dem norwegischen Kritiker-Preis und dem Ibsen-Preis ausgezeichnet wurde. 2020 wurde er für seine Verdienste um die norwegische Literatur zum Kommandeur des Sankt-Olav-Ordens ernannt und avancierte in den letzten Jahren mit seinen historischen Romanen zum Bestsellerautor.
Die Winter sind eiskalt, die Sommernächte taghell und die Arbeit hart auf dem kleinen Bauernhof im westnorwegischen Fjord, wo Lars Olsen Hoem aufwächst. Schon als Kind ist Lars eigensinnig, sogar dem Pastor widerspricht er. Seine größte Leidenschaft ist die Musik: Er wünscht sich eine Geige und will auf einer eigenen Schute über die Meere kreuzen.
Aber die Napoleonischen Kriege rauben ihm seine Jugend – er wird eingezogen und gerät auf ein britisches Gefangenenschiff, wo er fünf Jahre ausharrt. Als eines Abends jedoch ein Franzose mit einem Geigenkasten an Bord auftaucht, schöpft Lars Hoffnung, sich einen lang ersehnten Traum zu erfüllen.
In einem klingenden Roman erzählt Edvard Hoem das bewegte Leben seines Vorfahren Lars Olsen – ein Mann, dem auf hoher See die Musik zum Lebensanker wird.
Unionsverlag – Softcover – 336 Seiten – 15,00 € – ISBN 978-3-293-71034-4