Karin Erlandsson: Innehalten, Masche halten

Dass Stricken im Norden beheimatet ist, kann man angesichts der schönen, traditionellen Strickmuster aus Skandinavien und Großbritannien vermuten. Dass aber das älteste Fragment eines Stoffes, der gestrickt wirkt, vermutlich 8500 Jahre alt ist und in einer Höhle in Israel gefunden wurde, überrascht mich. Wie so viele andere Informationen in Karin Erlandssons erfrischend persönlichem Sachbuch. Im Plauderton erzählt die Autorin die Geschichte des Strickens, die ganz eng mit der 10.000-jährigen Geschichte der Schafe verknüpft ist. Ja, die Frage, muss ich das alles wissen, nur um einen Schal zu stricken, kann man stellen und man kann auch sagen, das muss man nicht alles wissen, aber: mit dem Wissen aus diesem Schatz an Informationen wird aus einer unzähligen Menge Maschen ein Kleidungsstück, das die Träger: innen zugleich schmückt und wärmt, es wird etwas Besonderes daraus, in das viele gute Gedanken mit hineingestrickt wurden. Und ohne erhobenen Zeigefinger oder ohne eine Tube Kleber erfahren die Leser: innen ökologische Zusammenhänge. Sie bringt auch wieder in Erinnerung, dass in den 1970er Jahren das Stricken Teil des Feminismus war.  Ich finde alles spannend, sei es, dass 2021 Schweden einen Teil eines Gletschers mit einer 40 m² großen Wolldecke zugedeckt hat und nach Monaten, als die Decke entfernt wurde, die Schneeschicht 4m höher/dicker war, als in der Umgebung der Teststelle. Wenn das die Lösung ist, will ich gern meinen Beitrag zur Rettung der Gletscher stricken. Auch beeindruckt mich, was Strickerinnen alles unternehmen, um alte Muster aufzuspüren und „niederzuschreiben“ damit sie erhalten bleiben. Und das es Meisterstrickerinnen gibt! Und das in einer Handwerkskunst, die im frühen 16. Jahrhundert den Männern vorbehalten war und die europäischen Strickgilden keine Frauen aufnahmen. Vermutlich erinnern sich nur noch die Älteren daran, dass die gewählten Grünen nicht nur mit Sonnenblumen, sondern auch mit Strickzeug in die Kommunal- und Landtagsparlamente einzogen. Vielleicht ist ja etwas dran, an Karin Erlandssons Credo: Strickende Frauen verändern die Welt.

Foto: Marcus Boman

Karin Erlandsson, geboren 1978, ist eine preisgekrönte finnische Autorin, die im Bereich Belletristik und Sachbuch veröffentlicht. Ihren ersten selbst gestrickten Pullover hat sie im Alter von 14 Jahren angefertigt. Seitdem hegt sie eine Vorliebe für blaue Wolle und macht sich stark für die These, dass Frauen, die stricken, die Welt verändern.

 

 

 

Stricken ist eine uralte Kunst, mit der man nicht nur wunderbare Kleidungsstücke schaffen, sondern auch die Welt verändern kann. Denn gerade in Zeiten, in denen die Welt ins Wanken gerät, bringt uns die Beschäftigung mit der Wolle, den Mustern und den Nadeln dazu, innezuhalten und die innere Balance wiederzufinden. In diesem ganz persönlichen Memoir erzählt Karin Erlandsson ihre eigene Strickgeschichte und darüber hinaus, wie wichtig das Thema von seinen Anfängen bis hin zur Gegenwart ist. Denn: Frauen, die stricken, veränderten schon immer die Welt – und ihren eigenen Lebensweg. Nachahmung dringend empfohlen!

Blanvalet – gebunden – 176 Seiten – 17,00 € – ISBN 978-3-7645-0857-9

 

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