Alex Schulman: Die Überlebenden

Wow! Dieses kleinformatige Buch kommt bescheiden daher, ohne jeglichen Glamour, erweist sich aber als etwas ganz großartiges. Ob Schulman die Landschaft beschreibt oder eine verstörende Szene aus dem Familienleben, seine Sprache entwickelt eine enorme Kraft, ist eindringlich, emotional und faszinierend. Der Autor lässt den mittleren Sohn Benjamin, der es sich zur Aufgabe machte, die Familie zusammen zu halten, aus seiner Sicht auf zwei sich abwechselnden Zeitebenen erzählen: der Vergangenheit und der Gegenwart, die zeitlich rückwärts erzählt wird. Die Empathie des Autors für diese Figur überträgt sich auf mich. Dagegen tue ich mich mit dem Ältesten, dem desinteressiert-klugen Nils und dem kleinen aufgeregt-aggressiven, vernachlässigten Pierre schwerer. Dies ändert sich im Verlauf der Geschichte, als das Bild einer gutbürgerlichen Familie bröckelt.

Alex Schulman
Foto: Fremling-Viktor

Alex Schulman, die Autorin, wurde 1976 in Hemmesdynge geboren, sein Memoir „Glöm mig“ wurde in Schweden 2017 zum Buch des Jahres gekürt. „Die Überlebenden“ ist sein erster Roman, von der schwedischen Presse gefeiert, stand er wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Er erscheint in 31 Ländern.

Hanna Granz, geboren 1977, ist seit 2012 als freiberufliche Übersetzerin tätig und hat Werke von Patrik Svensson, Tove Alsterdal, Sofie Darenbrant und Gohril gabrielsen ins Deutsche übertragen.

Trotz schweren Alkoholmissbrauchs der Eltern buhlen die Jungen um deren Liebe und wachsen in einem wechselnden Klima von Hass und Liebe auf. So verwundert es nicht, dass die Jungen das Elternhaus verlassen und der Kontakt untereinander abbricht. Erst der Tod der Mutter und ihr letzter Wunsch an die Kinder bringt die drei im abseits gelegenen Sommerhaus wieder zusammen. Hier stellen sie sich schonungslos der ganzen Bandbreite ihrer Gefühle und beginnen mit der Aufarbeitung der Vergangenheit.

Dass die Mutter ihre letzte Ruhe nicht neben dem Vater finden wollte, erfahren Benjamin, Pierre und Nils erst am Abend vor der Beerdigung. Stattdessen wünschte sie sich, dass ihre Asche über jenem Waldsee verstreut würde, an den die Familie früher ihre Sommer verbrachte. Zwanzig Jahre sind die Brüder schon nicht mehr dort gewesen, und so beginnt für sie eine Reise durch die raue, unberührte Natur Skandinaviens wie auch durch die Zeit.

Im Kampf um die Liebe der Mutter, die abweisend und grob, dann wieder beinahe zärtlich war, haben die Brüder sich damals aufgerieben bis zur Erschöpfung. Heute fühlen sie sich so weit voneinander entfernt, dass es kein Aufeinander-zu mehr zu geben scheint. Und doch ist da dieser Rest Hoffnung, die Welt ein Stück heiler zu machen, wenn sie sich noch einmal gemeinsam an den Ort ihrer Vergangenheit vorwagen.

Kunstvoll in der Komposition, klar und karg in der Sprache: Alex Schulmans „Die Überlebenden“ ist ein Roman von hoher Intensität und mit der Kraft, uns mit uns selbst zu versöhnen.

Alex Schulmans: „Die Überlebenden“ dtv – gebunden – 304 Seiten ISBN 978-3-423-28293-2, 22,70 €

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