Auf dem Cover ein Originalfoto von Hillary Clinton geb. Rodham als ganz junge Frau. Der Titel: Hillary. Und schon hat man im Kopf, dass es eine wahre Geschichte ist. Aber weit gefehlt, es ist ein fiktiver Roman über Hillary Clinton und auch Bill Clinton, den sie in dieser Geschichte nicht heiratet. Es ist ein Roman über eine sehr ehrgeizige junge Frau, die für das größte Amt ihres Lebens, die Präsidentschaft der USA, alles gibt. Sie heiratet Bill nicht und akzeptiert Trumps Unterstützung, der wenigstens in diesem Buch wegen Steuerhinterziehung vor Gericht muss. Stilistisch ist der Roman ein Sahnestück, daher frage ich mich ernsthaft, warum so eine halbwahre Geschichte ersonnen wurde? Auch wenn der Roman sehr unterhaltsam ist, musste ich mich immer wieder daran erinnern, dass es keine wahre Geschichte ist. Dennoch lohnt es sich, das Buch zu lesen. Genießen Sie die Geschichte einfach als reine Fiktion und schon ist es ein wunderbarer Roman.
Autorenfoto: ® Josephine Sittenfeld
Curtis Sittenfeld wurde 1975 in Cincinnati geboren und studierte in Stanford Creative Writing. Ihr literarisches Debüt »Eine Klasse für sich« wurde von der Presse hochgelobt. Seitdem veröffentlichte sie sechs weitere Romane und Erzählsammlungen, die in 30 Sprachen übersetzt wurden und alle auf der Bestsellerliste standen. Das Leben von Frauen an der politischen Spitze beschäftigte Sittenfeld, die auch für Magazine schreibt, schon mehrfach: 2008 interviewte sie für das Time Magazin Michelle Obama. Ihr Roman »Die Frau des Präsidenten« (2008) zeichnet ein fiktives Porträt der ehemaligen First Lady Laura Bush. In ihrem jüngsten Buch »Hillary« (2020) erzählt sie das Leben von Hillary Clinton neu.
Der Roman ist keine Biografie, auch wenn die Autorin dafür an die zwanzig Bücher gelesen hat, in denen Hillary Clinton erwähnt, beschrieben und charakterisiert wurde. Solch halbwahre Romane passen vielleicht einfach in unsere Zeit. Denn das Netz ist auch voller Halbwahrheiten. Nur finde ich es persönlich etwas irritierend.
Hätte man die Geschichte mit anderen Namen aber eindeutigen Hinweisen geschrieben, dann hätte man sich vielleicht darüber amüsieren können, dass jemand, der als Trump zu identifizieren wäre, eine Politikerin, die man für Hillary Clinton halten könnte, finanziell beim Wahlkampf unterstützt. Vielleicht hätte man die Befriedigung über den Sieg der ersten weiblichen Präsidenten im Geiste mitfeiern können. Doch weil dem nicht so ist, sollte man sich immer wieder darüber im Klaren sein, jeder Satz ist nur eine Fiktion.
Erinnert hat mit diese Art von Literatur an ein Projekt, von dem ich kürzlich las. Um Sophie Scholl dem jüngeren Publikum näher zu bringen, hat der SWR und BR das Gedankenspiel „Was würde sie heute tun?“, angepasst an die Lebenswelt der Digital Natives. Das Projekt „@ichbinsophiescholl“ soll die letzten zehn Monate von Sophie Scholl per Instagram erzählen. Sie sendet, kann aber nicht empfangen. Auch bei diesem Projekt stellte sich mir die Frage, muss mit solchen Mitteln gearbeitet werden, um das Interesse junger Leute zu gewinnen? Unterschätzen wir nicht die neue Generation, wenn wir glauben, dass sie die eigenen Schriften von Sophie Scholl und die Biografie nicht lesen können?
Darum finde ich es auch schwierig, mir mit dem Buch Hillary ein Bild von „der Frau“ in der amerikanischen Politik zu machen. Dafür würde ich eher zu What Happened den Memoiren von Hillary Clinton greifen.
Wenn man aber den Roman als völlige Fiktion verstehen kann, ist er gute Unterhaltung, weil er sehr gut geschrieben ist. Darum denke ich auch, dass Curtis Sittenfeld uns in der Zukunft mit gigantischen Geschichten überraschen kann, die nicht so verwirrend sind wie Hillary.
Hillary, Curtis Sittenfeld, Penguin Verlag, gebundene Ausgabe, Seiten 497, ISBN 978-3-328-60170-8, Euro 24,00.